Corporate Governance

Der Teufelskreis der Regulierung

Michèle Morner, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer

Corporate Governance wurde lange Zeit vornehmlich aus juristischer Perspektive betrachtet und fokussiert dabei insbesondere auf Regulierungen und Compliance. Um eine Good Governance zu erreichen, muss der Begriff der Corporate Governance jedoch größer gedacht werden und auch Formen der Selbstorganisation miteinbeziehen.

Die ursprüngliche Definition von Corporate Governance kommt aus dem Juristischen und bezieht sich auf die Überwachung und Kontrolle der Geschäftsführung durch seine Aufsichts- beziehungsweise Beiräte sowie auf eine funktionierende Compliance und entsprechende Regulierungen beziehungsweise Corporate-Governance-Kodizes. Im Mittelpunkt standen dabei zunächst der Schutz der Aktionärsrechte in börsennotierten Unternehmen und eine entsprechende Gewährleistung von Transparenz. Später wurde die Bedeutung des Begriffs ausgeweitet auf alle Formen von Unternehmen – sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor.

Die zunehmende Forderung nach „Good Governance“ ging einher mit immer mehr Corporate-Governance-Skandalen, die durch zunehmende Regulierung eher noch weiter zu- als abzunehmen schienen und wiederum selbst zu weiteren Regulierungen führten, wie zum Beispiel der damalige Libor-Skandal bei der Deutschen Bank oder die getürkten Bilanzen bei Wirecard zeigen. In beiden Fällen wurde als Reaktion die Kontrolle drastisch verstärkt: Bei der Deutschen Bank hat der Vorstand seine Compliance-Abteilung um 600 Stellen aufgestockt. Als Folge vom Debakel bei Wirecard wurde das FISG (Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität) von der Regierung eigens dafür geschaffen, ein zweites „Wirecard“ zu verhindern. Also: Noch mehr Regulierung beziehungsweise noch mehr Kontrolle, um dem Versagen der existierenden Regulierungen entgegenzuwirken.

Worauf dieser Teufelskreis der Corporate Governance zurückzuführen ist, wissen wir in der Organisationsforschung eigentlich seit William Ouchi. Er hat schon 1979 aufgezeigt, dass komplexe Zusammenhänge nicht alleine mit zentral erlassenen Regeln zuverlässig gesteuert und überwacht werden können. Sie machen vielmehr nur Sinn, wenn die zu steuernde Thematik in ihrer Gänze erfasst und auch entsprechend kontrolliert werden kann. Ansonsten sind sie als alleiniges Steuerungsinstrument eher ungeeignet und müssen ergänzt werden durch das, was Ouchi „Clan Control“ nennt, und für das die deutsche Organisationsforschung immer noch den von Werner Kirsch geprägten, etwas sperrigen Begriff der Selbstorganisation nutzt. Hier setzen die Betroffenen sich selbst mit den komplexen Herausforderungen auseinander und stimmen sich auf Augenhöhe darüber ab, wie diese im Sinne von Unternehmen und Gesellschaft zu handhaben sind. Natürlich muss dieser Prozess auch von Regeln und (Fairness-) Normen im Sinne von Elinor Ostrom begleitet werden, aber diese sind dann eben nicht mehr das alleinige Mittel.

Will man weg von der starken Regellastigkeit der Corporate Governance, erfordert dies also zunächst, die Komplexität der Zusammenhänge zu akzeptieren und die „Illusion der Machbarkeit“ (Kirsch 1990) bzw. der Allmacht von zentral erlassenen Regeln in Frage zu stellen und sich auf den gegenseitigen Dialog einzulassen. Dieser setzt jedoch entsprechende gemeinsame Werte der Beteiligten und ein Mindestmaß an gegenseitigem Vertrauen und Verantwortlichkeit voraus. Er erfordert eine (wirtschaftliche und politische) Führung, die eine entsprechende Kultur schafft – und nicht nur auf die Einhaltung und Kontrolle und Etablierung immer neuer Regulierungen setzt.

Michèle Morner, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer

 

Literatur

Kirsch, W. (1990). Unternehmenspolitik und strategische Unternehmensführung: Herrsching.

Ostrom, E. (2000). Collective Action and the Evolution of Social Norms. Journal of Economic Perspectives, 14, S. 137-158.

Ouchi, W. (1979). A conceptual framework for the design of organizational control mechanisms. Management Science, 25, 833-848.