Targeted Transparency Regulation

Transparenzvorschriften mit Lenkungszweck

Thorsten Sellhorn, Ludwig-Maximilians-Universität München

Transparenzvorschriften kommen zunehmend zum Einsatz, um das Verhalten von Unternehmen und Verbraucher*innen zu beeinflussen – zum Beispiel im Kontext des Klimawandels. Die betriebswirtschaftliche Forschung liefert das Instrumentarium, um diese Regulierungsmaßnahmen kritisch und evidenzbasiert zu begleiten.

Die Regulierung der Unternehmensberichterstattung hat auf den Kapitalmärkten traditionell die Funktion, Investoren mit transparenten, entscheidungsnützlichen Finanzinformationen zu versorgen, um die Anleger zu schützen, faire, geordnete und effiziente Kapitalmärkte zu gewährleisten und die Kapitalbildung zu fördern. Transparenzregulierung kann aber auch – ähnlich einer Lenkungssteuer wie z.B. der Tabaksteuer – das Verhalten von Wirtschaftsakteuren beeinflussen. So sollen etwa Nährwerttabellen oder (neuerdings) Nutri-Scores1 auf Lebensmitteln Verbraucherinnen und Verbraucher zu gesünderem Essen und Herstellerinnen und Hersteller zur Reduktion des Zucker-, Salz- und Fettgehalts veranlassen.

In der Unternehmensberichterstattung ist Targeted Transparency Regulation (TTR) auf dem Vormarsch.2 Zum Beispiel müssen große deutsche Unternehmen von öffentlichem Interesse seit 2017 eine nichtfinanzielle Erklärung über Umwelt- und soziale Belange sowie die Achtung der Menschenrechte abgeben. Aus der Gesetzesbegründung: „Durch die neuen Vorgaben … kann mittelbar auch das Handeln der Unternehmen beeinflusst und ein Anreiz geschaffen werden, nichtfinanziellen Belangen und damit verbundenen Risiken, Konzepten und Prozessen stärkeres Gewicht in der Unternehmensführung beizumessen.“ Auch der Green Deal von 2019, mit dem die EU-Kommission ein Umsteuern hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft fördern will, setzt auf Transparenzvorschriften. Die Idee: Wenn Unternehmen die Nachhaltigkeit ihrer Geschäftsaktivitäten transparent machen, können Investoren, Kundinnen und Kunden sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Präferenzen entsprechend nachhaltige Unternehmen als Investitionsobjekte, Geschäftspartner oder Arbeitgeber auswählen.

Befürworter schätzen TTR als besonders „milde“, wenig invasive Form der Regulierung. So greift etwa die Pflicht, die CO2-Emissionen öffentlich zu berichten, weniger stark in das Marktgeschehen ein als eine CO2-Steuer, ein CO2-Emissionsrechtehandel oder gar ein sanktionsbewehrtes Emissionsverbot. Daher gelten Transparenzvorschriften mit Lenkungszweck Vielen als besonders vereinbar mit einer freiheitlich-marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Skeptiker jedoch befürchten, dass sie allein keine hinreichende Wirkung entfalten. So argumentierte der ehemalige Vorsitzende des Rechnungslegungsgremiums IASB, Hans Hoogervorst, im Kontext der gegenwärtigen Klimakrise: „It is good that the G20 is promoting climate-related disclosure; it would be a thousand times better if they could agree on the introduction of a kerosene tax.”

Bei der Beurteilung von Maßnahmen der TTR kommt der betriebswirtschaftlichen Rechnungslegungs- und Publizitätsforschung eine wichtige Rolle zu. Sie befasst sich u.a. mit den (auch unbeabsichtigten) Auswirkungen von Publizitätspflichten und kann TTR daher (ex ante) normativ und (ex post) mit wissenschaftlicher Evidenz begleiten.3 So muss TTR, um die beabsichtigten Verhaltenswirkungen bei den Unternehmen zu entfalten, prüfbar, durchsetzbar und sanktionsbewehrt sein; dies ist bisher nur selten der Fall. Daher kommt es immer wieder zu Fällen von „Greenwashing“, in denen Unternehmen ihre nachhaltigen Facetten betonen, im Tagesgeschäft aber Raubbau an Natur und Gesellschaft betreiben. Zudem müssen die Angaben von den Adressaten auch wahrgenommen werden und sie dazu veranlassen, tatsächlich spürbaren Druck auf die Unternehmen auszuüben.

Insgesamt stellt die BWL mit dem Konzept der TTR ein marktkompatibles Instrument zur Verfügung, um das Wirtschaftsgeschehen „sanft“ in sozial gewollte Bahnen zu lenken. Wie effektiv und effizient dies gelingt, ist eine der spannenden Fragen für die betriebswirtschaftliche Forschung.

Thorsten Sellhorn, Ludwig-Maximilians-Universität München

Quellenangaben:

1 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Nutri-Score.

2 Vgl. etwa Hombach, K., und Sellhorn, T. (2019). Shaping corporate actions through targeted transparency regulation: A framework and review of extant evidence. Schmalenbach Business Review71(2), 137-168.

3 Vgl. zur CSR-Berichterstattung etwa Christensen, H. B., Hail, L., und Leuz, C. (2021). Mandatory CSR and sustainability reporting: economic analysis and literature review. Review of Accounting Studies, 1-73.