Vom Einzel- zum Konzernabschluss

Bernhard Pellens, Ruhr-Universität Bochum

Indem Vertreter der Betriebswirtschaftslehre theoretisch fundierte Regeln zur Erstellung eines Konzernabschlusses entwickelten, prägte das Fach den Bedeutungswandel vom Einzel- zum Konzernabschluss in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts maßgeblich. Die empirische Jahresabschlussforschung fokussierte sich in den 80er Jahren erstmals auf konsolidierte Abschlüsse.

Obwohl eine Konzernrechnungslegung als Managementinstrument schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts rudimentär in der Betriebswirtschaftslehre diskutiert wurde, hat erst das Aktiengesetz (AktG) 1965 eine gesetzliche Konzernrechnungslegungspflicht für Obergesellschaften für die Geschäftsjahre ab 1967 eingeführt. Heute unvorstellbar, waren in den aktienrechtlichen Konzernabschluss aber nur inländische Untergesellschaften einzubeziehen. Weil der Gesetzgeber kein Erfahrungswissen hinsichtlich der Konzernrechnungslegung besaß, enthielt das AktG eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die es von Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler*innen auszulegen galt.

Weil auch schon damals viele Obergesellschaften ausländische Untergesellschaften beherrschten, wollten sie den Stakeholdern gleich einen Weltabschluss präsentieren. Hier kamen erneut Betriebswirte ins Spiel, und Walther Busse von Colbe, Adolf G. Coenenberg, Dieter Ordelheide, Klaus von Wysocki u.a. entwickelten sich zu den Vätern der deutschen Konzernrechnungslegung. In dem neu gegründeten Arbeitskreis Weltabschlüsse der Schmalenbach-Gesellschaft stellten die Unternehmen ihre Fragen nach ökonomisch sinnvollen Konsolidierungsmethoden und den besonderen Weltabschlusserstellungsthemen (Währungsumrechnung, Vereinheitlichung der Einzelabschlüsse etc.). Diese wurden von den genannten Universitätsprofessoren nach den von ihnen entwickelten Grundsätzen ordnungsmäßiger Konsolidierung, allen voran der „Fiktion der rechtlichen Einheit“ sowie der „Maßgeblichkeit des Einzelabschlusses für den Konzernabschluss“, beantwortet. Insofern haben die normativ argumentierenden Betriebswirtinnen und Betriebswirte durch Fachaufsätze und Rechtskommentare die deutschen Konzernrechnungslegungsregeln entwickelt.

Auch die spätere Umsetzung der 7. Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft (7. EG-RL) in deutsches Recht, durch die die Konzernrechnungslegung in der EG harmonisiert wurde, wurde wesentlich von den normativ argumentierenden Fachvertretern der Betriebswirtschaft beeinflusst. Heute prägt das International Accounting Standards Board (IASB) die Sprache, in der über die wirtschaftliche Lage eines Konzerns gesprochen wird. Unverändert beteiligen sich Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus allen Ländern an der Fortentwicklung dieser Konzernrechnungslegungsregeln.

Die empirische Forschung in Deutschland steckte in den 60er und 70er Jahren noch in den Kinderschuhen. Da sich die Datenverfügbarkeit allein auf die Bonner Stichprobe (eine Jahresabschluss-basierte Industriedatenbank) und die Augsburger Datenbank beschränkte, war sie auf wenige betriebswirtschaftliche Lehrstühle und zudem ausschließlich auf Einzelabschlüsse begrenzt. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes zwischen der Universität Augsburg und der Ruhr-Universität Bochum wurde die Augsburger Datenbank um Konzernabschlüsse ergänzt, wodurch in den 80er Jahren erste empirische Untersuchungen anhand von Einzel- und/oder Konzernabschlussdaten überhaupt möglich wurden. Die in den USA schon lange verbreitete Sichtweise, dass die wirtschaftliche Lage eines Mutterunternehmens allein durch den Konzernabschluss vermittelt werden kann, begann in der Bundesrepublik Deutschland erst sehr langsam um sich zu greifen. Vergleiche von Einzel- und Konzernabschlussdaten und darauf aufbauende Rankings verdeutlichten, dass sich die wirtschaftliche Lage in Abhängigkeit vom zugrundeliegenden Abschluss signifikant verändert.

Heute werden empirische Studien ausschließlich anhand von Konzernabschlussdaten vorgenommen. In den verfügbaren Datenbanken sind die entsprechenden Einzelabschlussdaten vielfach nicht einmal mehr enthalten. Damit sind viele Fragestellungen zum Vergleich von Einzel- und Konzernabschlüssen von Mutter- und Tochterunternehmen nicht mehr zu beantworten. Da einige Stakeholder (Banken, Deliktsgläubiger, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etc.) bei ihren Verträgen immer noch die Rechtseinheit als Vertragspartner haben, ist diese Einseitigkeit der empirischen Forschung auf Konzernabschlussdaten kritisch zu sehen.