Aufsichtsratsnetzwerke: Wissenstransfer und Wissensbegrenzung

Anja Tuschke, Ludwig-Maximilians-Universität München

Simone Eulitz, Ludwig-Maximilians-Universität München

Aufsichtsratsnetzwerke entstehen durch personelle Verflechtung zwischen börsennotierten Unternehmen auf der obersten Leitungs- und Kontrollebene: Beispielsweise können (professionelle) Aufsichtsräte in den Gremien unterschiedlicher Unternehmen tätig sein oder hochrangige Managerinnen und Manager haben zusätzlich zu ihren angestammten Führungsaufgaben ein oder mehrere Aufsichtsratsmandate in anderen Unternehmen inne.

Personelle Verflechtungen durch Aufsichtsratsnetzwerke gelten als wichtige „Informationskanäle“, über die Wissen und Erfahrungen über Unternehmensgrenzen hinweg ausgetauscht werden. Sie bringen neue Impulse in die Leitungs- und Kontrollgremien und helfen, Fehler in der strategischen Ausrichtung frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. So hat sich gezeigt, dass Aufsichtsratsnetzwerke zum Transfer von Informationen über Praktiken wie Qualitätssicherungsmaßnahmen und variablen Vergütungsbestandteilen für das Management beigetragen haben bis hin zu Strategien wie den Eintritt in osteuropäische Märkte. Gerade in Zeiten großer Unsicherheit, etwa während der Corona Pandemie, können Unternehmen durch die personelle Verflechtung auf eine größere Zahl von erprobten Lösungsstrategien zurückgreifen.

Vor dem Hintergrund des organisationalen Lernens werden Aufsichtsratsnetzwerke überwiegend in einem positiven Licht gesehen. Die Konzentration von Aufsichtsratspositionen führender Unternehmen in den Händen einer kleinen Elite hat jedoch viel Kritik erfahren und seit den frühen 2000er Jahren zur „Entflechtung“ dichter Netzwerke geführt.

Es ist allerdings nicht nur die Ballung von Macht, die ein Problem der engen personellen Verflechtungen darstellt. Bislang wenig diskutiert wurde das Risiko, das durch die Qualität des weitergegebenen Wissens entsteht. Trotz der Entflechtung der Aufsichtsratsnetzwerke, sowie der Einführung von Frauenquoten, ist in vielen Aufsichtsgremien nach wie vor eine große Homogenität zu beobachten. Dies führt tendenziell zu einer Begrenzung von Wissen und Erfahrungen und einer Replizierung von Entscheidungen.

In einem (Aufsichtsrats-)Netzwerk aus geschätzten Expertinnen und Experten sowie Ratgeberinnen und Ratgebern werden vorhandene Informationen oftmals subjektiv als ausreichend empfunden und nicht weiter hinterfragt. Wissen, das in einem geschlossenen Kreis repetitiv wiederholt wird, verstärkt sich und wird für zutreffender und wichtiger gehalten als es objektiv ist. So kommt es neben dem Transfer von Wissen auch zu dessen Begrenzung. Wie in anderen geschlossenen sozialen Kreisen (soziale Medien, politische Lager) können sich Meinungen durchsetzen und festigen, selbst wenn sie auf einseitigen Informationen beruhen. Beispielsweise kann die stark gestiegene Vergütung von Vorständen vor diesem Hintergrund betrachtet werden. Aufsichtsräte bewilligen Vorständen höhere Vergütungspakete oder bestimmte zusätzliche Vergütungselemente, weil diese innerhalb des Netzwerkes als normal und fair gelten.

Angesicht der Risiken, die eine Wissensbegrenzung durch Aufsichtsratsnetzwerke mit sich bringt, sollte es Aufgabe zukünftiger Forschung sein, die Dynamiken und den Einfluss dieser Wissensbegrenzungen genauer zu untersuchen. Sicher ist schon jetzt, dass durch eine größere Heterogenität innerhalb eines Aufsichtsratsnetzwerkes die Wissensbegrenzung eingedämmt und der Wissenstransfer wertvoller werden kann.