Der Pfeil

Zur Faszination von Spitze, Nocke und Schaft

Albert Löhr, TU Dresden (Internationales Hochschulinstitut Zittau)

Der Pfeil ist seit rund 50 Jahren zu einem Kernsymbol der Betriebswirtschaftslehre geworden. Seine kausale Strahlkraft kommt dem Selbstverständnis von Managern1 entgegen, Dinge gestalten und Ergebnisse erzielen zu können. Der Beitrag plädiert für einen bewussteren Umgang mit „Pfeilen“ und regt ihre Rückformung zu „Strichen“ an. 

Weite Teile der Betriebswirtschaftslehre, insbesondere wo sie als Managementlehre verstanden wird, werden von der Faszination eines relativ unscheinbaren, aber überaus wirkmächtigen Symboles geleitet: dem Pfeil. Den Pfeil muss man daher als eine, wenn nicht die zentrale Errungenschaft unseres Faches sehen: omnipräsent, denkstilprägend, karriererelevant.   

Der Pfeil ist ein symbolisches Kind des Empirismus von Francis Bacon („Wissen ist Macht“: 1597, 1620) und des darauf bezogenen Denkens in Kausalgesetzen (David Hume 1748). Seinen Siegeszug speziell in unserem Fach hat er erst seit der verstärkten Orientierung an sozialwissenschaftlichen Methoden in der Organisations- und Managementlehre in den 1970er Jahren angetreten (e.g. Rensis Likert 1961, 1972). War die vorherige betriebswirtschaftliche Literatur an vergleichbaren Stellen noch beherrscht von Strichen, wurde der Pfeil seither zu einer Ikone des Denkens, Forschens und Lehrens – man könnte die Entwicklung der letzten 50 Jahre summarisch als „Verpfeilung“ zusammenfassen.

Unablässig werden seither pfeilgefüllte „Modelle“ (i.e. strukturierte Kausalarrangements) vorgestellt, die den angehenden oder praktizierenden Managern veranschaulichen sollen, an welchen Ursachen (Nocken) sie drehen können, um bestimmte Wirkungen (Spitzen) über Handlungsstrecken (Schäfte) hervorzurufen. Das scheint insofern hoch attraktiv, als es den genuinen Bewirkungsanspruch – um das Wort Herrschaftsanspruch zu vermeiden – von Managern als „Machern“ perfekt bedient:

ICH (!) kann auf geradem Wege („schnurstracks“) ein genau bestimmtes Ziel erreichen.

Im Pfeil mit Nocke, Schaft und Spitze ruht somit nicht weniger als das Kernverständnis von Management:

                              Nocke                                Schaf(f)t                                           Spitze

                              Ursache:                                                                                        Wirkung:
                              Ich (Manager)                   Du/Ihr („Mitarbeiter“)                  Es (Performance)
                              „unabhängig“                                                                              „abhängig“

So ist es auch nur konsequent, dass Generationen von Forschenden in kleinen und großen Kausalmodellen nach „Nockenwissen“ suchen, und ganze Batterien von „Spitzenorganen“ sich um die Publikation ihrer Erkenntnisse bewerben: Wissen ist Macht. Und mit bunt „gefiederter“ Nocke (mit schönen Worten geschmückt) wird so ein Pfeil gleich doppelt attraktiv.  

Doch Vorsicht ist geboten, denn drei bekannte Phänomene schränken den erhofften Nutzen eines durch Kausalverpfeilung arrangierten Gestaltungswissens regelmäßig ein. Erstens liegen die „Varianzaufhellungen“ von Modellen trotz hohem Rechenaufwand oftmals nur in Marginalien oder Selbstverständlichkeiten. Zweitens, selbst dort, wo es erhellende „Erklärung“ gibt, wird diese Erkenntnis schnell auch unnütz, weil es keinen relativen Vorteil einbringt, wenn alle derselben Erhellung folgen. Und dritten erzeugen aufgeklärte Einflüsse vielfach Gegenkräfte („Doppelpfeile“), so dass man am Ende gar nicht weiß, wer wirklich wo kausal an einem Nock gedreht hat. Stattdessen landet man im Feld „strategischer Organisations­analysen“, neuerdings auch beim Problem der Verantwortungsdiffusion in den komplex vernetzten Zusammenhängen der „Industrie 4.0“.

Anscheinend verspricht der Pfeil symbolisch mehr als er epistemisch leistet. Vielleicht sollten wir daher im 100. Jahr der BWL kurz innehalten und darüber nachdenken, ob der Pfeil weiterhin ein derart prägendes Symbol sein soll – oder man nicht besser den guten alten „Strich“ reaktivieren sollte. Eine derart verschlankte, bescheidenere Symbolik würde nicht nur Raum für eine Parallelität verstehender und erklärender Methoden eröffnen, sondern auch der mathematischen Logik der beliebten Korrelationsanalysen besser entsprechen. 

Albert Löhr, TU Dresden (Internationales Hochschulinstitut Zittau)

Quellenangaben:

Bacon, Francis: Meditationes Sacrae, 1597; ders.: Novum Organum Scientiarum, 1620.

Hume, David: An Inquiry Concerning Human Understanding, London 1748.

Likert, Rensis: New Patterns of Management, New York 1961 (dt. Stuttgart 1972).                                              

Von Anglizismen sollten keine künstlichen Genderformen gebildet werden.