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Schlaglichter der BWL

Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB

In betriebswirtschaftlichen Fakultäten deutschsprachiger Universitäten finden sich im Bereich der Realgüterwirtschaft oft die Begriffe Operations Management, Produktionsmanagement, Logistikmanagement, Supply Management oder Supply Chain Management. Hingegen war die entsprechende traditionelle Begriffswelt der 80er Jahre in der universitären BWL noch geprägt von den Termini Industriebetriebslehre, Produktionswirtschaft, (integrierte) Materialwirtschaft und Unternehmensforschung / Operations Research. 

Dieser Wandel, der im Verständnis und nicht nur in Begriffen begründet liegt, lässt sich am Beispiel der Logistik illustrieren. Mit ihren Ursprüngen in der Praxis hat sich die Logistik als wissenschaftliche Querschnittsdisziplin mit engen Bezügen zur Technik und zur Wirtschaftsinformatik langsam ab den 80er Jahren in der Betriebswirtschaftslehre etabliert. Der Innovationskern der Logistik lag wohl unter anderem im Anspruch der durchgängigen Gestaltung der Material-, Waren- und Informationsflüsse vom Beschaffungs- bis zum Absatzmarkt. Dieses Denken in Prozessen trug zur Überwindung des funktional und organisatorisch ausgeprägten Silodenkens bei. Die Logistik war demnach ein weitgehend unerkannter Vorreiter des Prozessmanagements in der BWL, später bekannt unter Business Process Reengineering. Nach einer Welle von Lehrstuhlgründungen und -umwidmungen wurde Mitte der 90er Jahre die WK Logistik im VHB gegründet. Doch bereits seit Ende der 90er Jahre wird die Ablösung der Logistik durch das Supply Chain Management (SCM) intensiv diskutiert. Dies löste die Frage nach „Logistik als Mode“ aus. Die erste Generation der Inhaberinnen und Inhaber von Logistik-Lehrstühlen stemmte sich etwaigen Umwidmungsbestrebungen naturgemäß mit Kraft und Argumenten entgegen – nicht zuletzt, um dem Vorwurf der Modeerscheinung entgegenzuwirken.

Impulsgeber für den anfangs nahezu stürmischen Feldzug des SCM war ebenfalls die Praxis, die inhaltliche Innovationskraft wurde aber dann stark durch die Wissenschaft geprägt: SCM wurde verknüpft mit dem Anspruch einer prozessorientierten Gestaltung unternehmensbezogener und -übergreifender, mehrstufiger Wertschöpfungsnetzwerke im Hinblick auf die Erhöhung des Kundennutzens. Als Stellhebel dienten ein verbesserter Servicegrad und niedrigere Kosten. Dazu kam die Integration weiterer betriebswirtschaftlicher Teilbereiche wie z.B. Forschung und Entwicklung oder auch Beschaffungs-, Produktions- und Distributionsmanagement. Dieser Anspruch inspirierte die SC-Community zu wahren Dogmenwechseln für die Realgüterwirtschaft. Mit der zunehmenden Anerkennung des SCM ging freilich auch die Forderung nach dem Zurückstutzen der Logistik einher, oftmals auf deren operativen Kern. Die Praxis erkannte indessen recht schnell, dass Anspruch und Wirklichkeit beim SCM weit auseinander liegen. So stellte sich nicht nur dem Verfasser die provokante Frage „SCM als Mode, Mythos oder mehr?“.

Mittlerweile hat sich SCM mit seinem visionären Anspruch etabliert, der nach und nach operationalisiert und in der Forschung zu greifbaren Themenfeldern heruntergebrochen wurde. Die Logistik als Kernbereich des SCM hat begrifflich überlebt, musste und muss sich aber auf eine Ko-Existenz mit SCM einlassen. Mein persönliches Fazit aus dem freilich subjektiven Erleben: Die Dynamik hat zu neuen Erkenntnissen geführt, man darf also dem Motto „Nichts ist so beständig wie der Wandel“ auch in der BWL Vertrauen schenken. Die Frage nach „Moden und Mythen“ gilt als Prüfstein für ausreichende wissenschaftliche Substanz und Eigenständigkeit einerseits sowie Praxisrelevanz andererseits. Logistik und SCM stellen wohl nur zwei von denkbar vielen Anwendungsfällen dar.
 

Autor

Wolfgang Stölzle

Universität St.Gallen (Schweiz)