Themen
Gesetzentwurf der Landesregierung Nordrhein-Westfalen betreffend die Stärkung der Hochschullandschaft (Hochschulstärkungsgesetz)
Stellungnahme des Verbands der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer für Betriebswirtschaft vom 17. Dezember 2024
Der Verband der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (VHB) vertritt rund 3.000 (Junior-)Professorinnen, (Junior-)Professoren, Postdocs und Promovierende der Betriebswirtschaftslehre. Am aktuellen Entwurf eines Hochschulstärkungsgesetzes begrüßen wir grundsätzlich die Zielsetzung, angemessene Voraussetzungen für gelingende Hochschulbildung zu schaffen. Wir sehen jedoch die Gefahr der Verschlechterung in drei Bereichen: der Betreuung und Begutachtung von Promotionen, dem Zugang zu Hochschulbildung und der Qualität der Lehre.
Themenbereich Betreuung und Begutachtung von Promotionen: Die zwingende Trennung von Betreuung und Begutachtung von Promotionen schränkt die Freiheit von Forschung und Lehre sowie die Hochschulautonomie ein.
Die geplanten Änderungen im Bereich der Promotionen, insbesondere die zwingende Trennung von Betreuung und Begutachtung (Art. 1 § 67 Abs. 3), sehen wir als problematisch an. Die Freiheit der Forschung und Lehre sowie die Hochschulautonomie werden dadurch in nicht vertretbarer Weise eingeschränkt.
Die Erfahrung in der Betreuung und Begutachtung und der jahrzehntelange intensive Austausch mit Promovierenden zeigen, dass eine enge Verbindung von Betreuung und Begutachtung essenziell für eine faire Bewertung ist. Gerade in kumulativen Promotionen, bei denen Forschungsergebnisse in Veröffentlichungen mit mehreren Co-Autorinnen und -Autoren eingebracht werden, ist die Expertise der Betreuerinnen und Betreuer unerlässlich, um die jeweiligen individuellen Beiträge klar zuzuordnen und die wissenschaftliche Qualität zu bewerten. Weder können externe Gutachterinnen und Gutachter diesen Kontext in demselben Ausmaß beurteilen, noch weisen andere Professorinnen und Professoren an der Fakultät dieselben einschlägigen Fachkenntnisse auf. Dieser letzte Aspekt gilt nicht nur für die sogenannten kleinen Fächer, sondern auch für Massenfächer wie die Betriebswirtschaftslehre, die eine Vielzahl an Fachrichtungen aufweist.[1] Gerade an kleinen und mittelgroßen Universitäten ist in der Regel nur ein Hochschullehrer bzw. eine Hochschullehrerin pro Fachrichtung tätig.
Ein Großteil der Dissertationen wird von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verfasst. In der BWL zum Beispiel, wo im Jahr 2021 rund 3.400 Personen eine Promotion verfolgten[2], entstehen schätzungsweise 80 % aller Dissertationen im Beschäftigungsverhältnis. Dies hat Auswirkungen auf die Dynamik im Betreuungsverhältnis und auf die Begutachtung. Die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Betreuenden und Promovierenden ist wesentlich für die erfolgreiche Umsetzung der Anforderungen auch in der (gemeinsamen) Forschung und zur Weiterentwicklung des aktuellen Wissensstands.
Insbesondere wenn Inhalte, die in die Dissertation einfließen, bereits als Einreichungen bei Konferenzen und Zeitschriften begutachtet und veröffentlicht werden, findet eine Qualitätssicherung in der Scientific Community statt. Die darüberhinausgehende Sicherung der Unabhängigkeit der Begutachtung ist von fachspezifischen Parametern abhängig. Dazu gehören zum Beispiel die Anzahl der Gutachterinnen und Gutachter, die Anzahl der Promovierenden pro Betreuerin bzw. Betreuer, die Art der Promotion (kumulativ auf Basis von Veröffentlichungen in begutachteten Zeitschriften sowie in Co-Autorenschaften, oder als Monografie), Betreuungsausschüsse oder das Berufsziel. Promotionsverfahren sollten fachintern organisiert sein und den von Fachgesellschaften entwickelten Standards guter wissenschaftlicher Praxis folgen.
Die aktuelle Formulierung im Gesetzesentwurf, dass von der Trennungsvorschrift abgewichen werden könne, sofern die Doktorandin oder der Doktorand einen entsprechenden Wunsch erklärt und das Vorliegen eines besonders begründeten Ausnahmefalls darlegt, lädt zur Gesetzesumgehung ein. Wir schlagen eine Alternative vor: Promovierenden sollte ein Widerspruchsrecht gegen die Begutachtung durch die Betreuerin oder den Betreuer eingeräumt werden. Auf diese Weise wäre für die problematischen Fälle ein Verfahren eingerichtet, während der weit häufigere Fall, dass eine Promotion reibungslos verläuft und das Betreuungsverhältnis harmonisch ist, unangetastet bliebe.
Das Promotionsrecht ist ein ureigenes Recht der in Fakultäten organisierten Fächer und kein Recht der Hochschulleitungen. Der Satz „Das Rektorat kann verbindliche Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung der Vereinbarung beschließen.“ (Art. 1, § 67, Abs. 3) sollte daher gestrichen werden. Für das Einhegen von Konflikten und die effektive Vermeidung von Machtmissbrauch ist die Einführung von Whistleblowing-Systemen und Ombudspersonen zu erwägen, die im Konfliktfall unterstützen können. Im Übrigen schließen wir uns den differenzierten und praxisnahen Empfehlungen des Wissenschaftsrats in seiner Stellungnahme von 2023 (S. 39-40) an.[3]
Themenbereich Zugang zu Masterstudiengängen: Die Zulässigkeit von Abschlussnoten in Auswahlsituationen trägt zur Objektivierung bei. Zielgerichtete bildungspolitische Aufträge sollten nicht aufgeweicht werden.
Wir unterstützen Chancengleichheit und gleichberechtigten Zugang zu Hochschulen. Die geplante generelle Unzulässigkeit einer Berücksichtigung der Abschlussnote bei der Zulassung zu Master-Studiengängen (Art. 1, § 49, Abs. 6) steht dem Prinzip der Rückmeldung auf Leistungen, wie es im gesamten deutschen Bildungssystem angelegt ist, entgegen. Noten sind aktuell das bestmögliche Instrument, um Vergleichbarkeit herzustellen. Sie geben Erwartungssicherheit, verhindern Frustration und erleichtern Entscheidungen. Die Abkehr von der Berücksichtigung der Abschlussnote schränkt weiterhin die Möglichkeiten der Hochschulen ein, auch Exzellenzförderung und -studiengänge anbieten zu können. Zudem können besonders anspruchsvolle Masterstudiengänge besondere Leistungen im Bachelorstudium erforderlich machen. Noten sollten aus all diesen Gründen weiterhin als Auswahlkriterium zulässig sein.
Wir bezweifeln grundsätzlich, dass Hochschulen sich in den aktuell gegebenen Rahmenbedingungen und vorhandenen Ressourcen zu „Einrichtungen lebenslangen Lernens“ weiterentwickeln können (Art. 1, §62 Absätze 1, 2, 5, 6). Der so postulierte universelle Bildungsauftrag setzt eine substanzielle Erweiterung der personellen, räumlichen, organisatorischen und prozessualen Kapazitäten voraus. Menschen, die aus dem Berufsleben kommen oder im Rentenalter ein Studium beginnen, stellen andere Erwartungen an eine Hochschule als junge Menschen, die ihr Erststudium absolvieren. „Lebenslanges Lernen“ an den Hochschulen zum Standard zu machen, würde angesichts der bereits heute existierenden Herausforderungen, die eine sich verändernde Studierendenschaft an Hochschulen stellt, bei gleichbleibenden Ressourcen zu einer Verschlechterung der Qualität in Lehre und Forschung führen. Sie kann allenfalls optional vorgesehen und darf nicht als verpflichtende funktionale Erweiterung der Hochschulen formuliert werden.
Themenbereich Qualität der Lehre: Angemessene Zuständigkeiten, Ressourcenbereitstellung und Gestaltungsfreiheit fördern die Qualität der Lehre.
Wir sind der Ansicht, dass Studierende als primäre Zielgruppe der Lehre in viele Bereiche des Hochschullebens demokratisch eingebunden werden sollten. Jedoch stellt das in Art. 1, § 64 Abs. 1a unter Satz 1 und 3 genannte Vorschlagsrecht von Studierenden und ihren Vertretungen zu Rahmenprüfungsordnungen ein Übergewicht der Stimmen von Studierenden gegenüber denen von Hochschullehrenden her. Im Ergebnis gewinnen damit Studierende unverhältnismäßig viel Einfluss auf ihre eigenen Prüfungsformate. Hochschulprofessorinnen und -professoren wird als Abschluss einer umfangreichen Qualifizierungsphase in Form der Venia Legendi das Recht und die Kompetenz zugesprochen, valide Entscheidungen über Prüfungsinhalte und -formate zu treffen und Prüfungsleistungen zu bewerten. In Regelwerken sollte sich dies unserer Meinung nach wiederspiegeln.
Die Digitalisierung der Lehre bietet große Chancen zur Verbesserung der Qualität und Zugänglichkeit des Studiums. Beschleunigt durch die Kontaktbeschränkungen in der Corona-Zeit, investieren Hochschulen heute in Online-Lehrangebote und -prüfungen und führen diese durch. Die vorgeschlagenen Maßnahmen und Regelungen zur „Sicherung der Qualität in Studium und Lehre“ (Art. 1, § 8 a, Abs. 2) dürfen bestehende Initiativen an den Hochschulen nicht gefährden. Die Gestaltung fächerspezifischer Lehre und Prüfungen sollten den Hochschulen und dort qualifizierten Personengruppen überlassen bleiben. Statt gesetzgeberischer Eingriffe, die den Spielraum der Hochschulen unnötig einschränken, benötigen diese ausreichend Ressourcen, um die wachsenden Anforderungen im Bereich der Digitalisierung der Lehre zu bewältigen.
Fazit
Der Referentenentwurf greift wichtige Themen auf. Der Regelungseifer geht jedoch unserer Meinung nach in einigen Bereichen zu weit. Insbesondere die Vorschrift in Artikel 1 § 67 zur Betreuung und Begutachtung von Promotionen, aber auch einige Passagen zur Online-Lehre und zum Hochschulzugang, sind problematisch und übergriffig im Sinne einer Verletzung der Hochschulautonomie bzw. Freiheit der Forschung und Lehre. Zu dieser Freiheit gehören insbesondere auch Habilitations- und Promotionsordnungen sowie die Entscheidungen in Promotions- und Habilitationsverfahren und damit die prozessuale Gestaltung des Entscheidungswegs.
Die Qualität der Promotionen, der Zugang zur Hochschulbildung und die Gestaltung der Lehre können bereits jetzt durch klare Standards, unterstützende Maßnahmen und die Wahrung der Hochschulautonomie gestärkt werden. Wir lehnen die unnötige Einschränkung der Spielräume von Hochschulen durch gesetzgeberische Eingriffe ab, da sie aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu einer Verschlechterung von Studium und Lehre führen werden. Wir schlagen vor, Regulierung weiterhin an diejenigen Stellen zu delegieren, die sie sinnvoll konzipieren und umsetzen können. Das sind insbesondere Hochschulen, Fakultäten sowie Fachgesellschaften.
Wir rufen dazu auf, den Fokus im Hochschulstärkungsgesetz auf das proaktive Schaffen eines Arbeitsumfelds zu legen, das für destruktive Machtdynamiken keinen Raum bietet, sodass sanktionierende Maßnahmen auf ein Minimum reduziert werden können.
Für den Verband der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V.
Prof. Dr. Jutta Geldermann
Vorsitzende
Prof. Dr. Michael Wolff
Stellv./designierter Vorsitzender
[1] Der VHB hat mittlerweile 18 Wissenschaftliche Kommissionen, die unterschiedliche Fachrichtungen vertreten: https://www.vhbonline.org/verband/wissenschaftliche-kommissionen.
[2] Statistisches Bundesamt (Destatis), 2022: Bildung und Kultur. Statistik der Promovierenden. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Publikationen/Downloads-Hochschulen/promovierendenstatistik-5213501217004.pdf?__blob=publicationFile, abgerufen am 27.11.2024.
[3] Wissenschaftsrat, 2023: Ausgestaltung der Promotion im deutschen Wissenschaftssystem. Positionspapier. https://www.wissenschaftsrat.de/download/2023/1196-23.pdf?__blob=publicationFile&v=14, abgerufen am 27.11.2024.