Schlaglichter der BWL
Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB
Der Motor der technologischen Entwicklung treibt seit Jahrhunderten gemeinsam mit Unternehmergeist den Wettbewerb an. Entrepreneure und Unternehmen sind bestrebt, sich durch neue Geschäftsmodelle, Produkte oder modifizierte Produktionsverfahren (Prozesse) Vorteile am Markt zu verschaffen. Äußere Ereignisse im gesellschaftlichen, politischen oder gesamtwirtschaftlichen Umfeld sorgen zudem für weitere Überraschungen. Wandel ist somit der Normalfall. Dies steht jedoch dem Bestreben von Organisationen (und Individuen) gegenüber, die versuchen, durch Stabilisierung und Routinisierung eine Reduktion der Komplexität zu erreichen. Dadurch wird Berechenbarkeit als Basis für eine gleichförmige Leistungserbringung geschaffen.
Während Unternehmen in vielen Fällen gezwungen sind, auf neue Herausforderungen durch ad-hoc getriebene Veränderungsprozesse zu reagieren, stellt sich die Frage, wie Wandel als dauerhafte Konstante verankert werden kann. Die Managementforschung verwendet dazu das Konzept der Ambidexterity (Beidhändigkeit). Unternehmen müssen ihre bestehenden Kompetenzen effizient und effektiv nutzen (Exploitation), und gleichzeitig einen Raum kreieren, um Neues zu erschaffen (Exploration). Unter dieser Perspektive wird Wandel zur strategischen Herausforderung. Denn strategiegeleitet ist vom Top-Management die Balance aus Exploitation und Exploration festzulegen, die sich in der Ressourcen- und Budgetverteilung widerspiegelt. Organisational benötigen beide die Triebkräfte des Unternehmens, damit sie sich voll entfalten können. Einerseits sind Beschaffung, Produktion oder Vertrieb auf ein hohes Ausmaß an Berechenbarkeit, Standardisierung und Kosteneffizienz angewiesen, um in kompetitiven Märkten kurz- bis mittelfristig das Überleben des Unternehmens zu gewährleisten. Andererseits basieren Kreativprozesse auf Freiraum, Fehlertoleranz und Lernoffenheit, um innovative Lösungen für die längerfristige Zukunft zu erschaffen.
Zur Reduktion der Komplexität würden Organisationen der Berechenbarkeit durch Exploitation den Vorrang geben. Langfristig kann dies jedoch zu Problemen führen, da in dynamischen Märkten immer wieder revolutionäre Neuerungen entstehen. Ein zu eng gesetzter Fokus auf Exploitation kann in solchen Fällen zu tiefen Unternehmenskrisen führen und in einem krisenhaften ad-hoc Wandel enden. Die Kunst liegt in der Schaffung von explorativen Bereichen, die zwar die interne Komplexität markant erhöhen, aber dadurch das Unternehmen evolutorisch adaptiv halten, um externe Veränderungen schnell zu erfassen und intern umzusetzen.
Die Balance an Exploitation und Exploration hält das Unternehmen fluide und lernoffen. Bei Großunternehmen lässt sich das leicht durch eigene Geschäftsbereiche, die aus internen Ventures oder externen Akquisitionen entstehen, ermöglichen. Im Kern wird die Ambidexterity daher zum Management des Portfolios aus exploitativen und explorativen Business Units an der Unternehmensspitze. Die fast vollständige Trennung hält auch intern die Komplexität überschaubar, denn die einzelnen Geschäftsbereiche können sich klar ausrichten. Kleine Unternehmen sind in der Gründungsphase sowieso hochgradig explorativ und geraten erst über den Reifungsprozess in die Exploitation. Im Größenwachstum von Unternehmen entsteht die Notwendigkeit der Ausdifferenzierung nicht nur nach Marktgegebenheiten, sondern auch nach der benötigen Lerndynamik, um neben Exploitation auch ein passendes Ausmaß an Exploration zu erzeugen. Dieser strategische Wandel erzeugt dann jene evolutionäre Fitness, die langfristiges Überleben auch in turbulenten Zeiten sichert.
Autor
Prof. Wolfgang H. Güttel
Professor for Leadership & Strategy at the Institute of Management Sciences and Dean of Academy for Continuing Education at TU Wien (Vienna University of Technology)