Schlaglichter der BWL
Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB
Modelle der stochastischen Programmierung (siehe [1]) erweitern die deterministische mathematische Programmierung um die explizite Berücksichtigung von unsicheren Eingabedaten. Dabei wird angenommen, dass der Entscheidungsträger Informationen über die Verteilung der unsicheren Daten zur Verfügung hat, die es ermöglichen, sie als Zufallsvariablen im mathematischen Sinne zu modellieren. In der Realität ist dies oft der Fall, da beispielsweise zukünftige Produktnachfragen, Energieverbräuche, Fahrgastzahlen, Preise sowieso meist mithilfe statistischer Modelle prognostiziert werden.
Neben einem Entscheidungsmodell (z.B. einem Tourenplanungsmodell) fließt also ein statistisches Modell der unsicheren endogenen Modellparameter explizit mit in die Optimierung der Entscheidungen ein. Im Unterschied zu rein deterministischen Modellen wird es damit möglich, zukünftiger Handlungsflexibilität einen Wert beizumessen. Lösungen stochastischer Modelle tendieren daher dazu, in zusätzliche Kapazitäten, Lagerbestände, flexible Strukturen zu investieren, die zunächst zum Zeitpunkt der Entscheidung mit Kosten verbunden sind, sich jedoch später in vielen Fällen bezahlt machen und so zu einem größeren erwarteten Gewinn bzw. zu geringeren erwarteten Kosten führen.
In den letzten Jahren sind sowohl im Bereich der deterministischen als auch der stochastischen mathematischen Programmierung sehr große Fortschritte auf vielen Ebenen erreicht worden. Einer bekannten Untersuchung zufolge können gemischt-ganzzahlige Modelle der mathematischen Programmierung heute um mehr als 1 Milliarde Mal (!) schneller gelöst werden als vor dreißig Jahren. Dieser Fortschritt, der zu großen Teilen durch bessere mathematische Algorithmen erreicht wurde, erlaubt es erst, die weit komplexeren stochastischen Modelle für immer mehr Anwendungen lösen zu können. Aber auch im Bereich der Modellierungswerkzeuge wachsen die Welten der Statistik und der Optimierung immer stärker zusammen und erlauben eine immer einfachere Umsetzung stochastischer Optimierungsmodelle für viele Anwendungen der BWL, z.B. in den Bereichen Produktion und Logistik, Energiewirtschaft, Finance etc.
Das Feld der Optimierung unter Unsicherheit ist wissenschaftlich hochaktiv. Neben der stochastischen Programmierung werden weitere vielversprechende Paradigmen beforscht, genannt seien hier z.B. die robuste Optimierung und die stochastische dynamische Programmierung sowie Querverbindungen zum maschinellen Lernen. Die Community arbeitet dabei hochgradig interdisziplinär. Während theoretische Grundlagen meist durch Mathematikerinnen und Mathematiker gelegt werden, kümmern sich Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler oft um Anwendungen, Informatikerinnen und Informatiker entwickeln neue Techniken zur Umsetzung der Algorithmen in Optimierungssoftware.
Mit diesem Schlaglicht möchte ich Kolleginnen und Kollegen sowie Praktikerinnen und Praktiker ermutigen, die stochastische Optimierung bei der Lösung ihrer wissenschaftlichen und industriellen Anwendungen in Betracht zu ziehen. Die Optimierung unter Unsicherheit hat mit großer Sicherheit das Potential für einen zukünftigen Hype – verdient hätte sie ihn.
Als mich vor vielen Jahren kurz nach meiner Promotion einmal eine mir nahestehende Person fragte, womit ich mich eigentlich so beschäftigte, antwortete ich ihr: „Ich löse Planungsprobleme unter Unsicherheit.“. Darauf entgegnete sie in norddeutscher Trockenheit: „Na, das trifft ja eigentlich auf alle Planungsprobleme zu…“. Da musste ich lachen, denn bis dahin war ich recht fest in der Welt der deterministischen Modellierung mit Hilfe linearer und gemischt-ganzzahliger Programme verhaftet gewesen. Ich hatte damals erst seit Kurzem begonnen, mich neuen Themen und insbesondere der Optimierung unter Unsicherheit zuzuwenden.
Quellenangaben
[1] https://stoprog.org/what-stochastic-programming
[2] Hochreiter R., Pflug G. Financial scenario generation for stochastic multi-stage decision processes as facility location problems. Ann Oper Res (2007), 152:257-272.