Schlaglichter der BWL
Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB
Viele erfolgreiche Entrepreneure haben einen Migrationshintergrund. Elon Musk (Tesla), Sergey Brin (Google) oder Ugur Sahin und Özlem Türeci (BionTech) sind besonders prominente Beispiele eines viel breiteren Phänomens. Zahlreiche Statistiken belegen, dass Migrantinnen und Migranten weltweit häufiger Unternehmen gründen als die heimische Bevölkerung. Auch ihr Erfolg ist oft überdurchschnittlich groß (siehe Vandor/Franke 2019 für eine Übersicht).
Die bestehende Forschung führt dies vor allem auf (Selbst-) Selektion zurück. Wer emigriert und sich auf ein neues Leben einlässt, ist auch eher bereit, unternehmerische Risiken einzugehen. Manche Staaten selektieren Migrantinnen und Migranten zudem nach Qualifikation. Diese Erklärung stellt ein Nullsummenspiel dar. Der Zugewinn an unternehmerischem Potenzial im Zielland geht zu Lasten des Herkunftslands, das entsprechende Ressourcen verliert. Brain Gain gegen Brain Drain.
Mein Doktorand Peter Vandor und ich sind einer anderen Erklärung nachgegangen (Vandor/Franke 2016). Wer migriert, macht zwangsläufig eine intensive interkulturelle Erfahrung – mit potenziellen Auswirkungen auf die individuellen kognitiven Fähigkeiten. Wer unterschiedliche Kontexte erlebt, kennt mehr Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle, die man übertragen kann. Der vergrößerte Wissenspool kann auch eine Basis für kreative Neukombinationen sein, also Innovationen im Sinne von Schumpeter.
Um dies zu prüfen, haben wir die unternehmerischen Fähigkeiten von WU-Studierenden vor und nach einem Auslandssemester mit einem standardisierten Test gemessen. Als Vergleich dienten Studierende, die im gleichen Zeitraum zuhause geblieben waren. Der Unterschied ist eindeutig: die erste Gruppe steigerte ihre unternehmerischen Fähigkeiten um 17 Prozent. Die Vergleichsgruppe veränderte sich sogar leicht negativ. Interkulturelle Erfahrungen haben eine starke Wirkung.
Trotz des hohen Realismus der Studie stellen sich Fragen nach Kausalität und Generalisierbarkeit. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren keine Migranten und der experimentelle Stimulus, das „Migrationserlebnis“, war nur befristet. Die Zuteilung zu den beiden Gruppen erfolgte zudem nicht randomisiert. In einer komplementären zweiten Studie haben wir daher ein Priming-Experiment mit Immigrantinnen und Immigranten durchgeführt. Dabei haben wir der Versuchsgruppe die Erinnerung an ihren interkulturellen Hintergrund durch eine kleine Aufgabe aktiv ins Gedächtnis zurückgerufen. Bei der Kontrollgruppe wurde dies unterlassen. Der Unterschied in der Fähigkeit, unternehmerische Gelegenheiten zu finden, war mit 26 Prozent sogar noch größer als in der ersten Studie. Zusammen genommen zeigt sich, dass interkulturelle Erfahrung die Fähigkeit, unternehmerische Gelegenheiten zu erkennen, erhöhen.
Die Folgerungen liegen auf der Hand: Soll das Niveau an Innovation und Unternehmensgründungen gesteigert werden, ist die Erhöhung der internationalen Mobilität ein effektiver Ansatzpunkt. Natürlich sollte man dabei auch die interkulturellen Erfahrungen derjenigen nutzen, die sie ohnehin haben. Migration ist aus dieser Perspektive eine gesellschaftliche und ökonomische Chance.
Die gute Nachricht dabei ist, dass dies kein Nullsummenspiel sein muss. Der Zuwachs an unternehmerischem Potenzial geht nicht notwendigerweise zu Lasten der Ursprungsländer. Er stammt (auch) aus dem Migrationserlebnis selbst: Migration macht unternehmerisch.
Quellenangaben
Vandor, P., & Franke, N. (2016). See Paris and… found a business? The impact of cross-cultural experience on opportunity recognition capabilities. Journal of Business Venturing, 31(4), 388-407.
Vandor, P., & Franke, N. (2018). Immigrant entrepreneurship: Drivers, economic effects, and policy implications. Jason Clemens, eds. (2018), 363
Autor
Nikolaus Franke
Wirtschaftsuniversität Wien (WU Vienna)