Schlaglichter der BWL
Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB
Transparenz bedeutet laut Duden Durchschaubarkeit, Nachvollziehbarkeit. Damit verbunden ist eine positive Konnotation und auch der Verdacht, dass jemand, der gegen Transparenz ist, etwas zu verbergen hat.
In der Informationsökonomie, die eine theoretische Grundlage für Unternehmensrechnung (Accounting) liefert, werden allerdings viele Situationen identifiziert, in denen mehr Transparenz strikt nachteilig ist, und zwar individuell oder auch wohlfahrtsbezogen. Ihnen gemeinsam ist, dass mehrere Individuen Entscheidungen strategisch treffen und Information deren Verhalten ändert. Hier sind einige Beispiele für solche Situationen.
- Ein klassisches Beispiel ist ein Kapitalmarkt, in dem Investoren durch Handel ihre Ertrags-Risiko-Position verbessern können. Während aus individueller Sicht mehr Information nicht nachteilig sein kann (ausgenommen Kosten), sieht das anders aus, wenn die Information an alle Investorinnen und Investoren geht. Dann ändern sich für jeden Akteur die Handelsmöglichkeiten (bspw. würde man nach einer ungünstigen Information einen Titel gerne verkaufen, doch keiner will ihn mehr haben). Mehr Information kann die Handelsmöglichkeiten so weit einschränken, dass ein Informationsverzicht für alle Investorinnen und Investoren vorteilhaft ist.
- Fair Value-Bewertung führt gegenüber Anschaffungskostenbewertung mit Wertminderung dazu, dass Vermögen zeitnah und „richtiger“ abgebildet werden. Aber sie kann auch bewirken, dass temporäre Verluste aufgrund von z.B. Eigenkapitalregeln bei Banken eine verlustbringende Veräußerung von Positionen initiieren. Bei Illiquidität im Markt werden die Werte weiter nach unten gedrückt. Daraus entsteht ein Ansteckungseffekt derart, dass auch andere Banken Veräußerungen vornehmen. Diese Pro-Zyklizität kann bis hin zu einer Krise des Bankensystems führen.
- In der EU wurde mit der Transparenz-Richtlinie 2013 die Verpflichtung zur Veröffentlichung von Quartalsabschlüssen (paradoxerweise) abgeschafft. Obwohl das Argument auf Erstellungskosten beruhte, kann häufige Berichterstattung auch Anreize zu ineffizienten Investitionen geben. Angenommen, ein Manager oder eine Managerin ist an aktuellen Marktpreisen des Unternehmens interessiert und besitzt private Information über die Vorteilhaftigkeit von Projekten. Eine Investition wird vom Markt nun als Signal über die Qualität dieser Informationen interpretiert, was zu Überinvestition führt.
- Mehr Information kann auch zu Unterinvestition führen, wenn beispielsweise Fremdkapitalgeber aufgrund (zu) detaillierter Information keine Finanzierung bereitstellen, obwohl das Projekt an sich profitabel ist. Eine Verpflichtung zu einer begrenzten Informationspflicht kann mehr Effizienz bewirken.
- Neben realen Effekten kann eine Verpflichtung, bestimmte Informationen auszuweisen, Anreize schaffen, die Information mit Bilanzpolitik zu verzerren. Rationale Investorinnen und Investoren werden dies bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, und es verbleiben die Kosten der Bilanzpolitik.
- In der Agency-Theorie tauchen mehrfach Situationen auf, in denen mehr Information wertmindernd ist. Der Grund besteht darin, dass die Managerin oder der Manager sein Entscheidungsverhalten aufgrund zusätzlicher Information anpasst und so die Eigentümerin/der Eigentümer weniger Kontrolle hat.
Mehr Transparenz ist daher nicht immer das Allheilmittel. Nur eine differenzierte betriebswirtschaftliche Betrachtung gewährleistet eine sachgerechte Lösung bei Informationsasymmetrie.
Quellenangaben
Kanodia, C.: Accounting Disclosure and Real Effects, Foundations and Trends in Accounting (1) 2006, S. 167-258.
Plantin, G., Sapra, H. und H. S. Shin: Marking-to-Market: Panacea or Pandora’s Box?, Journal of Accounting Research 46 (2008), S. 435-460.
Wagenhofer, A. und R. Ewert: Externe Unternehmensrechnung, 3. Aufl., Berlin et al. 2015.
Autoren
Ralf Ewert
Universität Graz
Alfred Wagenhofer
Universität Graz