Schlaglichter der BWL
Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB
Mass Customization (MC) überbrückt den klassischen Gegensatz zwischen Kostendruck und Varietät durch individuelle Leistungen, erstellt mit der Effizienz vergleichbarer Massenprodukte. Eine solche kundenzentrische Produktion wird auch immer mehr zum Leitbild der Industrie 4.0-Debatte.
In der Mass-Customization-Forschung wurden in den letzten zwei Dekaden eine Reihe kritischer Erfolgsfaktoren identifiziert:i
- Fokus auf Heterogenität bei Entwicklung des Lösungsraums. Unternehmen, die MC erfolgreich umsetzen, müssen die idiosynkratischen Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden verstehen. Dies steht im Gegensatz zu klassischen Segmentierungsansätzen, die nach Gemeinsamkeiten ihrer Kunden suchen, um sie mit begrenzten Varianten zu bedienen. MC beginnt da, wo Kundenbedürfnisse am stärksten voneinander abweichen – und wo Kundinnen und Kunden bereit sind, die Individualisierung auch zu honorieren. Dies benötigt neue Marktforschungsansätze.
- Robuste Prozessgestaltung, die vorhandene organisatorische Ressourcen wiederverwendet oder neu kombiniert. MC setzt anders als herkömmliche Einzelfertigung auf fokussierte Flexibilität. Ziel ist, individuelle Leistungen mit stabilen Prozessen zu erstellen, die in modularen (bzw. immer mehr auch parametrisierbaren) Leistungsarchitekturen abgebildet werden.
- Navigation der Wahlmöglichkeiten aus Kundensicht. Kundinnen und Kunden müssen ihre individuellen Anforderungen ohne hohe Komplexität und kognitive Belastung übermitteln können. Hierzu dienen Konfiguratoren (Toolkits) als die zentrale MC-spezifische Technologie. Ein aktueller Treiber sind hier KI (künstliche Intelligenz)- und ML (maschinelles Lernen)-Ansätze, die Daten aus der Nutzungsphase oder Social-Media-Streams (Analyse oder KI-basierte Prädiktion industrieller Bedarfe) verwenden, um latente Bedürfnisse von Nutzerinnen und Nutzern zu finden.
Die Zukunft der MC ist smart. Immer mehr geschieht Individualisierung heute durch Kombination adaptiver (smarter) Produkte und datengetriebener Services. Integriert in ein physisches Produkt (in Massenfertigung standardisiert hergestellt), erfassen Sensoren und Nutzerschnittstellen die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden während der Nutzung. Diese Daten passen das Produkt kontinuierlich und individuell an. Funktionen können „on-demand“ freigeschaltet werden, ergänzt um personalisierte digitale Services. So gewinnt die Debatte um Produktindividualisierung derzeit eine völlig neue Perspektive:iiAus Mass wird Smart Customization. Zwei Jahrzehnte MC-Forschung bieten der sich gerade erst ausbildenden Forschung zu Smart Products viel Vorwissen und Inspiration.
Ein kurzer MOOC des Autors gibt eine praxisbezogene Einführung in das Thema Mass Customization:
Quellenangaben
i Siehe zur aktuellen Zusammenfassung der Mass-Customization-Forschung Hankammer, S.; Antons, D.; Kleer, R. and Piller, F. (2020). Taking Stock of Customization Research: A Computational Review and Interdisciplinary Research Agenda (June 22, 2020). SSRN Working Paper.http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3632997.
Eine empirische Überprüfung dieser Erfolgsfaktoren bieten beispielsweise Salvador, F.: Piller, F.; Aggarwal, S. (2020). Surviving on the long tail: An empirical investigation of business model elements for mass customization. Long Range Planning, 53(4), 101886. https://doi.org/10.1016/j.lrp.2019.05.006
ii Siehe zu dieser Perspektive Hankammer, S.; Nielsen, K., Piller, F.; Schuh, G. and Wang, N. (2018). Customization 4.0. Berlin: Springer. doi.org/10.1007/978-3-319-77556-2