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Schlaglichter der BWL

Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB

Marktdesign stellt einen relativ neuen und schnell wachsenden Bereich in den Wirtschafts-wissenschaften dar. Breitere Bekanntheit in der akademischen Welt erlangte das Feld durch die Wirtschaftsnobelpreise an Alvin Roth und Lloyd Shapley in 2012 oder an Paul Milgrom und Robert Wilson in 2020. Das Feld besticht insbesondere durch die Erfolge in der praktischen Anwendung. Bekannte Beispiele sind Frequenzauktionen, die Zuordnung von Kindern zu Schulen oder Studierenden zu Universitäten, den Handel mit Emissions- oder Fischfangrechten, Elektrizitätsmärke, etc.  Im Wesentlichen geht es um die Allokation von knappen Ressourcen mit mehreren Entscheidern; ein Problem, das für viele Bereiche der Betriebswirtschaftslehre zentral ist (Bichler, 2017). Beispiele sind Verhandlungen mit Lieferanten en im Einkauf, die Koordination von Spediteuren und Frachtführern in der Logistik, aber auch zwischen Plattformbetreibern, Fahrern und Transportbedürftigen auf Mobilitätsplattformen. 

Methodische Grundlagen des Marktdesign liegen in der Spieltheorie, der Implementierungstheorie und der mathematischen Optimierung (Milgrom, 2021). Die gestiegene Bedeutung dieser Methoden kommt daher, dass durch das Internet Präferenzen von Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmern einfach erhoben werden können und heute leistungsfähige Algorithmen bereitstehen, um die daraus resultierende Ressourcenallokationsprobleme auch in der Praxis lösen zu können. Große Bedeutung kommt der Evaluierung neuer Mechanismen über experimentelle Methoden und Felduntersuchungen zu.  Dabei gibt es deutliche Überschneidungen mit den betriebswirtschaftlichen Teildisziplinen wie der Wirtschaftsinformatik und dem Operations Research, was auch erklärt, warum sich zahlreiche Fachvertreter aus diesen Gebieten heute mit Marktdesign beschäftigen. 

Als Beispiel soll das Design von Strommärkten dienen; ein Bereich, der seit der Liberalisierung der Strommärkte Ende der 90er Jahre viel Aufmerksamkeit erhalten hat und dem gerade in Zeiten der Energiewende große Bedeutung zukommt. Spotmärkte gleichen Angebot und Nachfrage aus, wobei meist die Kapazitätsbeschränkungen des Übertragungsnetzwerkes ebenso wie die physikalischen Eigenschaften von Netzflüssen berücksichtigt werden. In der Theorie entsteht dadurch ein großes, nichtlineares und nicht-konvexes Wohlfahrtsoptimierungsproblem. Solche Probleme können weder in der Praxis gelöst werden, noch gibt es Ansätze, wie Marktpreise abgeleitet werden könnten. Üblicherweise kommt daher eine Relaxation des Optimierungsproblems zum Einsatz, welches in vertretbarer Zeit gelöst werden kann. Die Energiewende führt zu einem starken Anwachsen der Anzahl der Marktteilnehmerinnen und Marktteilnehmer und zu neuen Herausforderungen durch die Volatilität erneuerbarer Energien. Neue Bieterformate und Preisregeln sollen die Nachfrageflexibilität in der Industrie oder in privaten Haushalten anreizen.  Preissensitive Nachfrage führt aber zu neuen Fragestellungen in der Produktionsplanung. Der Einsatz virtueller Kraftwerke erfordert die Entwicklung neuer informationstechnischer Lösungen und Geschäftsmodelle, die auch private Haushalte mit einbeziehen. Ebenso braucht die Industrie neue Modelle, um sich gegen Preisschwankungen abzusichern. Während also Marktdesign im engeren Sinn zentrale Ressourcenallokationsprobleme betrifft, zeigt das Beispiel der Strommärkte, dass die Problemstellungen zahlreiche Teildisziplinen der Betriebswirtschafslehre ansprechen – von der Theorie zur Praxis und zurück.
 

Quellenangaben

Bichler, Martin. Market Design: A Linear Programming Approach to Auctions and Matching. Cambridge University Press, 2017.

Milgrom, Paul. "Auction Research Evolving: Theorems and Market Designs." American Economic Review 111.5 (2021): 1383-1405.

Roth, Alvin E. Who gets What—and Why: The New Economics of Matchmaking and Market Design. Houghton Mifflin Harcourt, 2015.
 

Autor

Martin Bichler

Technische Universität München