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Schlaglichter der BWL

Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB

In jüngerer Zeit erfährt das Interesse in Theorie und Praxis an sogenannten postbürokratischen Organisationsmodellen eine Renaissance. Schlägt man die Fachpresse auf, so liest man von agilen Organisationen, von Projekt- und Innovationsökologien und − nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie bedingt − von neuen Formen der virtuellen Kooperation, die mit der Vorstellung einer Bürokratie mit ihren formalen und hierarchischen Weisungs- und Kontrollstrukturen wenig zu tun haben. Ein illustratives Beispiel ist die Organisation von Open-Source-Softwareprojekten wie Linux. In solchen Organisationen wird die Vielfalt der verteilten Intelligenz durch Prinzipien der Dezentralisierung von Autorität und Selbstorganisation gesteuert. 

Solche neueren Organisationsformen folgen – zumindest idealtypisch – einer ganz anderen Logik, die als Heterarchie in die Organisationstheorie eingeführt wurde. Heterarchien sind im Gegensatz zu Hierarchien keine Über- und Unterordnungs-, sondern Nebenordnungssysteme. Während die hierarchische Organisationslogik in der platonischen Tradition steht, die durch zentrale Führung, größtmögliche Einheitlichkeit und systematische Ordnung charakterisiert ist, steht die heterarchische Organisationslogik in der aristotelischen Tradition einer ausgehandelten Ordnung. Sie beruht auf der Idee einer vielgliedrig organisierten, pluralistischen Willensbildung. Der Unbeweglichkeit und unverhältnismäßigen Machtkonzentration autoritärer Systeme möchte sie ein Modell entgegensetzen, das die kreative Vielfalt eines kooperativen, aber bei Zeiten auch kompetitiven Systems organisiert. Dem Weisungsprinzip der Hierarchie wird damit das Verhandlungsprinzip entgegengesetzt, so dass die Heterarchie auch als Verhandlungssystem verstanden werden kann. 

In Heterarchien werden Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Mitwirkungen situationsbezogen unter den Organisationsmitgliedern ausgehandelt, so wie es in selbstorganisierenden Teams eine gleichberechtigte Teilnahme und Teilhabe an Entscheidungsprozessen gibt. Damit sind die Bedingungen, unter denen Entscheidungen getroffen und vollzogen werden, Ergebnis dezentraler Abstimmungen und Entscheidungen. Mit anderen Worten: Die Organisationsmitglieder handeln selbst die Struktur mit ihren Rollen, Regeln und Zuständigkeiten für ihre Problemlösungsprozesse aus. In Heterarchien gilt das Prinzip der potentiellen Führung, welches besagt, dass die Entscheidungsmacht zur Führung und Koordination nicht aus einer Position in einer Bürokratie erwächst, sondern aus der Fachkompetenz und der Expertise einer Person zur Lösung anstehender Probleme. 

Es ist nicht verwunderlich, dass die heterarchische Organisationslogik heute an Bedeutung gewinnt, bemühen sich doch viele Unternehmen durch neue Organisationsformen, ob diese nun als agil, holokratisch, selbstorganisierend, teamorientiert oder anders benannt werden, ihre Lern- und Innovationsfähigkeit zu steigern. Nicht vergessen sollte man dabei aber, dass ein Übergang von der gemanagten Bürokratie zu einer heterarchischen Organisationsform an zahlreiche Bedingungen geknüpft ist. Ohne eine unterstützende Organisationskultur und Mitarbeitende, die den fluktuierenden Charakter ihrer Positionen und Aufgaben akzeptieren, ihre individuellen Ziele zugunsten gemeinsamer Problemlösungen zurückstellen, Initiative ergreifen und kooperationswillig sind, besteht die latente Gefahr, ein entscheidungs  und handlungsunfähiges System zu erzeugen. Eine erfolgreiche Heterarchisierung von Organisationen bedarf deshalb aktiver Entwicklungsarbeit. Wer diese nicht tätigen möchte, wird auch nicht in den Genuss ihrer Früchte kommen.
 

Quellenangaben

Lee, M. Y.; Edmondson, A. C. (2017). Self-managing organizations: Exploring the limits of less-hierarchical organizing. Research in Organizational Behavior, 37, 35-58.

Reihlen, M. (1999). Moderne, Postmoderne und heterarchische Organisation. In: Schreyögg, G. (Hrsg.) Organisation und Postmoderne. Wiesbaden: Gabler, S. 265-303.
 

Autor

Markus Reihlen

Leuphana Universität Lüneburg

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