Schlaglichter der BWL
Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB
Das meritokratische Credo besagt, dass Führungskräfte auf der Grundlage ihrer Verdienste ausgewählt werden. Wer jedoch aus einem elitären Familienhintergrund stammt, beherrscht die geschriebenen und ungeschriebenen Verhaltensregeln für elitäre Kreise unvergleichlich besser als andere. Empirische Belege zeigen, dass der familiäre Hintergrund einer Person nach wie vor der Schlüssel zur Erlangung einer Spitzenposition ist. So kamen im Jahr 2000 87 % aller Vorstandsvorsitzenden der 100 größten deutschen Unternehmen aus dem reichsten 1 % der Gesamtbevölkerung. Familien der Oberschicht sind in Machtpositionen überproportional vertreten und vererben diese Vorteile an ihre Nachkommen weiter.
Bisherige Maßnahmen für mehr Chancengleichheit hatten wenig Erfolg. So zielen Quoten zwar auf messbare, hervorstechende Merkmale wie das Geschlecht oder die Nationalität ab, vernachlässigen aber weniger offensichtliche Aspekte wie die soziale Herkunft. Unsere Forschungsgruppe schlägt die fokussierte Zufallsauswahl oder Randomisierung bei der Vergabe begehrter, prestigeträchtiger Positionen vor. Ein fokussiertes Losverfahren beruht auf zwei Verfahrensschritten: Im ersten Schritt wird – wie üblich - aus allen Bewerbungen eine Shortlist der je nach Poolumfang drei oder sechs leistungsstärksten Kandidatinnen und Kandidaten erstellt. Im zweiten Schritt wird - im Gegensatz zu herkömmlichen Verfahren - keine Reihung dieser Shortlist vorgenommen, sondern die Gewinnerin bzw. der Gewinner per Losentscheid bestimmt. Fokussierte Losverfahren bieten sich zur Besetzung von Positionen an, die begehrt und prestigeträchtig sind, bei denen mehrere hochqualifizierte Kandidierende potentiell zur Verfügung stehen und bei denen die zukünftigen Leistungen der Amtsinhaber nur schwer abschätzbar sind. Beispielsweise für CEO- oder Aufsichtsrats-Positionen in Großunternehmen. Und sie führen zu mehr Chancengleichheit.
Erstens sorgt die Shortlist dafür, dass Kandidierende entsprechend ihre Leistungen und Kompetenzen in die nähere Auswahl kommen.
Zweitens suchen Berufungsgremien bei der herkömmlichen, kompetitiven Auswahl nach Kandidierenden, die nicht nur kompetent, sondern auch kulturell kompatibel sind, beispielsweise hinsichtlich ihres Lebensstils und ihrer Selbstdarstellung. Kulturelle Gemeinsamkeiten fördern Vertrauen und Behaglichkeit und wiegen daher im Ergebnis oft stärker als der Verdienst der Kandidierenden. Muss sich eine Kommission auf drei oder gar sechs Kandidierende einigen, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass deren sozialer Hintergrund hochgradig homogen ist.
Drittens bewerben sich bei fokussierter Zufallsauswahl nachweislich mehr hochqualifizierte Außenseiter und Minderheiten auf freie Positionen. Diese haben in kompetitiven Leistungsbewertungen oft negative Erfahrungen gesammelt und rechnen sich geringere Erfolgschancen aus. Die Einführung einer Zufallskomponente verringert die psychologischen Kosten und die Erwartung, diskriminiert zu werden.
Viertens sorgt die Zufallsauswahl dafür, dass bei der Auswahl der Gewinnerin bzw. des Gewinners sowohl vordefinierte als auch nichtdefinierte Merkmale der Kandidierenden gleichermaßen – nämlich gar nicht – berücksichtigt werden. Dadurch entsteht eine Offenheit gegenüber neuen Kriterien und Aspekten, die man zum Zeitpunkt der einzelnen Wahl noch nicht kannte. Diskriminierung wird vermieden.
Die Idee zu fokussierten Losverfahren stammt im Übrigen nicht aus dem «Elfenbeinturm», sondern hat sich historisch über Jahrhunderte hinweg bewährt.
Quellenangaben
M. DOEHNE, J. GEWEKE, K. ROST, You can make it if you try: Focal random selection breaks up power monopolization, Working Paper University of Zürich 2020.
J. BERGER, M. OSTERLOH, K. ROST, Focal random selection closes the gender gap in competitiveness, Science advances 2020/ 6(47), eabb2142.
J. BERGER, M. OSTERLOH, K. ROST, T. EHRMANN, How to prevent leadership hubris? Comparing competitive selections, lotteries, and their combination, The Leadership Quarterly 2020/, 101388.
Autorin
Katja Rost
Universität Zürich, Soziologisches Institut