Schlaglichter der BWL
Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB
Betriebliche Veränderung vollzieht sich in Korrespondenz mit dem sozio-ökonomischen Umfeld. Vor hundert Jahren hatte das Fließband Einzug in die Betriebe gehalten – die Aufmerksamkeit galt der Massenproduktion. Arbeitskräfte wurden in das Fabriksystem eingetaktet und waren zumeist gering qualifiziert. Heute geht es um die Integration Künstlicher Intelligenz (KI) in betriebliche Entscheidungssysteme bei individualisierter Leistungserstellung und zugleich hohem Fachkräftebedarf. Wie lässt sich die Fähigkeit zum organisationalen Wandel erklären und fördern?
Technologieentwicklung schafft Optionen. Ob und ggf. wann diese aufgegriffen werden, ist eine Frage der betrieblichen Entscheidung. Die Fließfertigung wurde bereits vor ihrer Einführung durch Henry Ford erfunden. Die seit dreißig Jahren bekannten Chancen der Digitalisierung, Arbeit dezentral und asynchron zu organisieren, remote auf Systeme zuzugreifen und Arbeitseinsatz stärker an den unterschiedlichen individuellen Bedürfnissen zu orientieren, werden erst jetzt umfänglich genutzt. Erste Ansätze zur Integration von KI in Entscheidungssysteme greifen auf Verfahren des maschinellen Lernens von vor zwanzig Jahren zurück. Technologien selbst erzeugen keinen Determinismus, sondern schaffen Räume für Veränderung.
Rund um technologische Artefakte entstehen jedoch betriebliche Strukturen und unhinterfragte Ordnungsmuster, die zu Manifesten werden können. So orientieren sich Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsort als Kernfelder sozialpartnerschaftlicher Aushandlung an Prinzipien der Fabrikorganisation. Dies gilt auch für Bereiche von Dienstleistung und Verwaltung, die nie den Notwendigkeiten einer gekoppelten Produktion unterlagen bzw. für Industrien, die sich längst flexiblen Produktionsformen zugewandt haben. Neue Ordnungsmuster konnten durchgreifend erst im Zuge der Corona-Pandemie herausgebildet werden. Es muss sich zeigen, ob die gegenwärtig stark betonte Agilität von Organisationen dazu beiträgt, dass Strukturen fortan weniger Beharrungskräfte erzeugen.
Das kontinuierlich gestiegene Bildungsniveau und die Entwicklung beruflicher Kompetenzen definieren Schlüsselfaktoren, wenn es darum geht Strukturwandel, Krisenbewältigung und Wohlstand zu erklären. Arbeitskräfte sind nicht Verhinderer, sondern als mit- und vorausdenkende Individuen Wegbereiter von Veränderung. Staatliche Offensiven in der Bildungspolitik haben dafür wichtige Weichen gestellt und sind angesichts eines ungedeckten Fachkräftebedarfs in technologienahen Arbeitsfeldern weiterhin von hoher Relevanz. Auch für die Humanisierung der Arbeit bedurfte es einer staatlichen Offensive, um die Bedeutung von persönlichkeitsförderlichen Arbeitsinhalten, Autonomie und Qualität der Zusammenarbeit als Voraussetzung für Veränderungsfähigkeit zu sehen.
Die Nutzung von KI in Arbeitssystemen ist eine Option für die Zukunft, an der sich ein internationaler Wettbewerb der Systeme und Ideologien entfacht. Will man angesichts dieser Herausforderung die betriebliche Wandlungsfähigkeit stärken, dann bedarf es einer integrativen und interdisziplinären Forschungsförderung der Technologie-, Organisations- und Personalentwicklung. Wenn wir KI für die Qualität von Entscheidungen als Komplementär, Unterstützer und Förderer menschlicher Fähigkeiten nutzen wollen, müssen unsere Systeme der Leistungsbewertung und Aushandlung dies zulassen. KI kann der Wirtschaft, den Menschen und der Demokratie im Sinne besserer Lebens- und Arbeitsbedingungen dienen – das ist eine Aufgabe der Humanisierung der Arbeit unserer Zeit. Mit einem Modell humanzentrierter KI-Nutzung sind wir auch für internationale Arbeitskräfte attraktiv. Die Weichen dafür müssen aber gestellt und die Lösungen zeitnah gefunden werden. Wir Ökonominnen und Ökonomen können dann besonders viel, wenn wir unseren Gestaltungsauftrag in gemeinsamer Anstrengung mit unseren Nachbardisziplinen wahrnehmen.