Tourenplanung – Ohne Operations Research geht nichts!

Gerhard Wäscher, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Die Planung von Auslieferungsprozessen stellt KEP-Dienstleister vor gewaltige Herausforderungen. Ohne das Operations Research wären diese Probleme nicht wirtschaftlich lösbar.

Kurier-, Express- und Paket- (KEP-) Dienstleister lieferten im Jahr 2020 insgesamt 4,05 Mrd. Sendungen (vor allem Pakete) aus1, was durchschnittlich etwa 13,5 Mio. Sendungen pro Arbeitstag entspricht. Im B2C-Marktsegment, dem wichtigsten Markt der KEP-Dienstleister, erfolgt die Auftragserfüllung „auf der letzten Meile“ i.d.R. im Rahmen von mehreren, von einer Zustellbasis ausgehenden Auslieferungstouren, auf denen jeweils die betreffenden Zustellorte (Wohnort des Endkunden, Packstation, Paketshop o.ä.) nacheinander mit einem Lieferfahrzeug angefahren werden.

Bei der Planung derartiger Touren ist festzulegen, welche Kundinnen und Kunden jeweils den zur Verfügung stehenden Fahrzeugen zugeordnet werden sollen und in welcher Reihenfolge sie zu bedienen sind. Dabei sind Restriktionen (Zeitfenster für die Besuche bei den Kunden, Arbeitszeit- bzw. Lenkzeitrestriktionen der Fahrerinnen und Fahrer, Beladungsrestriktionen der Fahrzeuge usw.) zu berücksichtigen oder auf Problemvarianten, etwa solchen mit unterschiedlichen Typen von Transportfahrzeugen, einzugehen. Angestrebt werden Touren, mit denen die von der insgesamt zurückgelegten Entfernung abhängigen (in Geldgrößen, Entfernungs- oder Zeiteinheiten gemessenen) „Kosten“ minimiert werden. Erreicht werden mit derartigen Zielsetzungen auch ein geringer Energieverbrauch und eine signifikante Reduktion der durch die Transporte verursachten Umweltbelastungen in Form von CO2-, Stickoxid- und Feinstaubemissionen.

Für den wirtschaftlichen Betrieb einer Zustellbasis, von der aus ggf. pro Tag mehrere Tausend Zustellorte mit einer umfangreichen Fahrzeugflotte anzufahren sind, ist eine sorgfältige Planung der Touren unabdingbar. Schon die Größe der zu bewältigenden Probleme macht deutlich, dass dies ohne eine effiziente Unterstützung durch quantitative Methoden nicht erreichbar ist. Das Operations Research als Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre hat sich Planungsproblemen der geschilderten Art (i. e. Tourenplanungsprobleme) seit mehr als einem halben Jahrhundert intensiv gewidmet. Sie lassen sich grundsätzlich als mathematische (d.h. hier: binäre) Optimierungsprobleme formulieren und lösen. Allerdings ist die Größenordnung der Probleme, für die in annehmbarer Rechenzeit tatsächlich eine nachweisbar optimale Lösung bestimmt werden kann, noch immer weit von dem entfernt, was in der Praxis täglich zu bewältigen ist. Die Wissenschaft hat sich deshalb vor allem mit der Entwicklung heuristischer Verfahren befasst, mit denen sich in geringer Rechenzeit gute, aber nicht immer zwangsläufig auch optimale Lösungen generieren lassen. Mittlerweile steht hier ein ganzes Arsenal leistungsfähiger, auf sog. Meta-Heuristiken beruhenden Softwarelösungen zur Verfügung, die sich im praktischen Einsatz bewährt haben.

Damit ist die Forschung über Tourenplanungsprobleme jedoch keinesfalls abgeschlossen. Das liegt zum einen daran, dass der Einsatz derartiger Systeme nicht auf KEP-Dienstleister beschränkt ist. Eine Vielzahl von Auslieferungsproblemen in anderen Wirtschaftszweigen, aber auch viele (Ein-) Sammlungsprobleme weisen eine identische oder ähnliche Struktur auf. Entsprechendes gilt auch für Kombinationen von Auslieferungs- und Sammlungsproblemen (sog. Pick-up-and-Delivery-Probleme), wie sie etwa im Zusammenhang mit der Annahme von Paketrücksendungen auf Auslieferungstouren anfallen. Derartige Probleme zeichnen sich oft durch spezielle Gegebenheiten und Restriktionen aus, welche die Entwicklung eigenständiger Lösungsansätze erforderlich machen. Zum anderen steht in jüngerer Zeit auch die simultane Lösung von Problemen der Tourenplanung und gewissen, in der Supply Chain damit eng verbundenen Planungsproblemen im Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Hierzu gehört in der Auslieferungsplanung eines Unternehmens der Sachgüterproduktion etwa die Integration der Tourenplanung mit (vorgelagerten)  Kommissionierprozessen oder mit (nachgelagerten) Produktionsprozessen bei den Kundinnen und Kunden.

Gerd Wäscher, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Quellenangaben:

Vgl. Bundesverband Paket Express Logistik (BIEK): Zahlen & Fakten. https://biek.de/kep-branche/zahlen-und-fakten.html (zuletzt aufgerufen am 23.08.2021)