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Wohin führt der Industriestrompreis?

VHB experts geben Antworten aus der Sicht der Betriebswirtschaftslehre

Derzeit wird intensiv über den Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers zur Förderung von Industriestrom diskutiert, der die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen in energieintensiven Branchen stärken soll. Doch auch wenn der Vorschlag von vielen Wirtschaftsvertreter:innen positiv aufgenommen wird, könnte die Maßnahme dem Wirtschaftsstandort Deutschland am Ende mehr schaden als nützen. Vier Experten aus dem VHB erklären warum.

Überblick

 

Prof. Dr. Jochen Gönsch, Lehrstuhlinhaber für BWL, insbesondere Service Operations an der Mercator School of Management - Fakultät für Betriebswirtschaftslehre, Universität Duisburg-Essen, Campus Duisburg

Prof. Dr.-Ing. Aaron Praktiknjo, Lehrstuhlinhaber für Energiesystemökonomik am interdisziplinären E.ON Energy Research Center der RWTH Aachen.

Prof. Dr. Maximilian Todtenhaupt, Professor am Institut für Öffentliche Finanzen an der Leibniz Universität Hannover

Dr. Johann Valentowitsch, Akademischer Rat am Lehrstuhl für Innovations- und Dienstleistungsmanagement der Universität Stuttgart

 

Statements

 

Prof. Dr. Jochen Gönsch, Universität Duisburg-Essen

Der Industriestrompreis - Eine Brücke ins Nirgendwo?

Auf den ersten Blick eine gute Idee
Fünf Cent statt durchschnittlich neun Cent – das klingt erst einmal gut. So wird beispielsweise die chemische Industrie entlastet, die etwa 10% des deutschen Stroms verbraucht. Arbeitsplätze können in Deutschland bleiben.

Probleme zeigen sich beim näheren Hinschauen
Es gibt drei Probleme. Erstens: Wer soll den günstigen Preis bekommen? Jede Abgrenzung ist unfair, und in der Vergangenheit profitierten meist die großen Konzerne. Zweitens: Wer soll es bezahlen? Das sind auf die eine oder andere Art alle, die den subventionierten Preis nicht bekommen. Drittens: Preise haben eine Lenkungswirkung. Günstiger Strom könnte den Sparanreiz senken. Zudem sollen die Preise erst einmal nur für zwei Jahre festgelegt werden. Das ist eher ein Symbol als ein Argument, die neue Fabrik in Deutschland statt in den USA zu bauen. Dazu kommt: Der reguläre Strompreis liegt in Deutschland im europäischen Durchschnitt; in USA und Kanada ist er jedoch um etwa 60% billiger.

Die nachhaltige Alternative
Kurzfristig können schnelle Hilfen viel Gutes bewirken, das haben wir etwa bei den Corona-Hilfen gesehen. Allerdings profitierten hier eher die kleinen Betriebe, große können Durststrecken besser überbrücken. Der Staat übernimmt sich, wenn jedes Jahr wieder ein spezielles Ausnahmejahr ist, das teure Geschenke erfordert. Nachhaltiger wäre es, die Stromerzeugung schneller auszubauen und dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen. Schließlich wird in Zukunft noch mehr Strom gebraucht, zum Beispiel für Elektromobilität oder Wärmepumpen.

Prof. Dr. Jochen Gönsch ist Experte für Mobilität und Logistik, u.a. Sharingmodelle, dynamische Preisgestaltung im Mobilitäts- und Energiesektor, sowie Stromspeicher und erneuerbare Energien. Der Autor gehörte laut WirtschaftsWoche-Ranking 2020 zu den Top 5 Prozent der BWL-Forschenden unter 40. Seine Publikationen behandeln Preisgestaltung im Flugverkehr, Strommärkte, Shared Mobility und weitere Logistik- und Mobilitätsthemen unter Berücksichtigung von Risikoaversion.

 

 

Prof. Dr.-Ing. Aaron Praktiknjo, RWTH Aachen

Deutschland hat mitunter die höchsten Strompreise weltweit. Dies ist strukturell bedingt, und zwar insbesondere durch eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage. Ursachen sind neben dem Wegfall von günstigem russischem Erdgas und der fortschreitenden Abkehr von fossil-nuklearer Stromerzeugung ein langsamer Ausbau von erneuerbaren Erzeugungskapazitäten, Stromleitungen und Speichern.

Symptomatische Linderung
Eine Subventionierung des Strompreises würde der deutschen Industrie eine symptomatische Linderung verschaffen. Idealerweise sichert diese für einen begrenzten Übergangszeitraum das Überleben der deutschen Industrie. Ob und wann die Strompreise in Deutschland ein international wettbewerbsfähiges Niveau erreichen werden, ist allerdings fraglich. Dies sollte vor Einführung eines Industriestrompreises Gegenstand fundierter wissenschaftlicher Untersuchungen sein.

Zuwenig Anreiz für Energieeffizienz und zeitlich flexible Stromverbräuche
Eine mehr oder weniger direkte Subventionierung des Strombezugspreises für die Industrie kann zu einem verringerten Anreiz für Energieeffizienz führen. Zwar soll die Subventionierung auf 80 Prozent des historischen Stromverbrauchs begrenzt werden, um die Unternehmen weiterhin zu Energieeffizienz zu motivieren. Problematisch ist jedoch, dass sich der Empfang der Subventionen nach der Besonderen Ausgleichsregelung (BesAR) im EEG und damit der Höhe des Stromverbrauchs richten soll. Zumindest für die Unternehmen an der Stromverbrauchsgrenze untergräbt diese Zuordnung Anstrengungen zu mehr Energieeffizienz.
Ein durch Subventionen gedeckelter Strompreis verringert die Preisvolatilität für die Industrie und damit die Anreize zu zeitlich flexiblen Stromverbräuchen. Letztlich wirkt die Deckelung des Strompreises also innovationshemmend, insbesondere in den für die Energiewende besonders dringend benötigten Bereichen wie Energiespeicher oder Digitalisierung.

Fazit: Den Wettbewerbsnachteil durch andere Maßnahmen ausgleichen
Die hohen Strompreise stellen für die deutsche Industrie international einen großen Wettbewerbsnachteil dar. Die Subventionierung des Industriestrompreises birgt aber die Gefahr, die Energiewende zu verlangsamen, was ein nachhaltiges Senken der Strompreise erschweren dürfte. Anstrengungen zur Ausweitung des Stromangebots oder zur Reduktion der Stromnachfrage wären somit nachhaltiger als eine direkte Subventionierung für niedrigere Strompreise. Falls die Industrie kurzfristig unterstützt werden muss, würden sich Maßnahmen außerhalb der Strommärkte, ggf. über Steuererleichterungen, zumindest nicht negativ auf den Fortschritt der Energiewende auswirken.

Prof. Dr.-Ing. Aaron Praktiknjo ist Experte für Energiesystemökonomik und Professor am interdisziplinären E.ON Energy Research Center der RWTH Aachen. Er forscht insbesondere zu den Schnittstellen zwischen Energiewirtschaft, Energiepolitik und Energietechnik. Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Energiewissenschaft und Energiepolitik (GEE) und Vizepräsident der International Association for Energy Economics (IAEE). Gemeinsam mit Peter Zweifel und Georg Erdmann ist er Co-Autor des Lehrbuchs "Energy Economics - Theory and Application".

 

 

Prof. Dr. Maximilian Todtenhaupt, Leibniz Universität Hannover

In Zeiten des Klimawandels erscheint die Subventionierung von Energieverbrauch absurd
Ein durch staatliche Subventionen reduzierter Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen erscheint angesichts des voranschreitenden Klimawandels aus ökonomischer Sicht absurd. Exzessiver Energieverbrauch bei fixen Preisen für Unternehmen erhöht in der aktuellen Erzeugungsstruktur die Nachfrage nach klimaschädlichen fossilen Energieträgern. Potenziell steigen in der Folge auch die Energiepreise für Haushalte. Die Marktpreise berücksichtigen diese sozialen Kosten des industriellen Energieverbrauchs in der Regel nicht. Der Staat sollte daher den Strompreis durch Steuern oder Emissions-Zertifikate erhöhen, um sozial erwünschte Einsparungen herbeizuführen. Der Industriestrompreis würde das Gegenteil tun: er reduziert die Energiekosten für energieintensive Unternehmen.

Hohe Energiepreise werden uns noch länger beschäftigen
Ein reduzierter Industriestrompreis könnte sinnvoll sein, wenn es sich bei den aktuell hohen Strompreisen um ein vorübergehendes Phänomen handeln würde. Ein kurzfristiges Eingreifen könnte dann langfristige Strukturdefizite durch Abwanderung von Industrieunternehmen aus Deutschland verhindern. Es ist allerdings zum einen fraglich, ob die Strompreise tatsächlich wieder dauerhaft sinken werden. Der Atom- und Kohleausstieg sowie die anhaltenden geopolitischen Konflikte scheinen zu einer dauerhaften Verknappung des Energieangebots zu führen. Das spricht eher für langfristig hohe Strompreise. Zum anderen sind die Energiepreise in Deutschland schon seit mehreren Jahren hoch, ohne dass deswegen eine signifikante Abwanderungswelle deutscher Unternehmen zu beobachten ist. Deutschlands relative Wettbewerbsposition hat sich in den letzten Jahren kaum verändert.

Fazit: Ein reduzierter Industriestrompreis wäre eine riskante Wette
Ein reduzierter Industriestrompreis wäre daher eine riskante Wette auf eine massive Ausweitung des Energieangebots innerhalb weniger Jahre und die Bereitschaft der Unternehmen, trotz gegensätzlicher Anreize durch den Staat ausreichend Energie einzusparen. Warum sollten Unternehmen in Energiesparmaßnahmen investieren, die sich aufgrund künstlich niedrig gehaltener Strompreise aktuell gar nicht lohnen und die Gewinne ihrer Anteilseigner schmälern? Ein subventionierter Industriestrompreis könnte die nötigen Transformationsprozesse zur Bekämpfung des Klimawandels sogar verlangsamen.

Prof. Dr. Maximilian Todtenhaupt ist Spezialist für Steueranreize in Bezug auf die Wirtschaftstätigkeit, den internationalen Steuerwettbewerb um mobiles Kapital, sowie die Auswirkungen der Besteuerung auf Innovation und Wachstum von Unternehmen. Er ist CESifo Research Affiliate, assoziierter Wissenschaftler am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Mitglied des Norwegian Centre for Taxation (NoCeT). Er publizierte zu grenzüberschreitenden Effekten von Steuervergünstigungen für Patente und zur Wirkung der internationalen Besteuerung auf Unternehmensproduktivität.

 

 

Dr. Johann Valentowitsch, Universität Stuttgart

Günstiger Strompreis für die Industrie: Gut gemeint, aber toxisch für den Standort.

Hohe Strompreise sind kein neues Phänomen
Der Konflikt in der Ukraine hat die Beschaffungskosten der Energieversorger deutlich steigen lassen und die Strompreise in ungeahnte Höhen getrieben. Allerdings hatte die Industrie auch schon vor dem Ukraine-Krieg mit hohen Strompreisen zu kämpfen. Im europäischen Vergleich muss die heimische Industrie seit Jahren einen starken Preisanstieg hinnehmen (siehe Abbildung), der eine Folge der Umstellung auf erneuerbare Energien ist.

Das Risiko der Abwanderung durch Subventionen mindern?
Für energieintensive Unternehmen stellt der hohe Preis einen Wettbewerbsnachteil dar. Die Sorge, dass heimische Unternehmen ins Ausland abwandern könnten, ist daher berechtigt. Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes durch einen subventionierten Industriestrompreis zu sichern, könnte jedoch langfristig genau das Gegenteil bewirken. Die Subventionspolitik würde den Transformationsprozess der Wirtschaft verzögern und den dringend notwendigen Umbau der Industriestrukturen ausbremsen.

Altes loslassen, Neues ermöglichen
Die umweltpolitischen Ziele der Bundesregierung können ohne die Verlagerung und Schrumpfung bestimmter Industrien nicht umgesetzt werden. Das Bestreben, alte Wirtschaftsstrukturen zu erhalten, setzt die falschen Prioritäten und verhindert die Entwicklung innovativer Zukunftsbranchen, die im Wettbewerb der Zukunft entscheidend sein werden.

Die Politik sollte sich auf den Aufbau neuer, zukunftsweisender Industrien konzentrieren. Der wirtschaftliche Wandel ist als Chance zu begreifen, sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gemäß neu auszurichten und zu positionieren.

Dr. Johann Valentowitsch ist Spezialist für Dienstleistungsinnovationen und Innovationsmanagement, das er bevorzugt im Kontext disruptiver Branchenveränderungen untersucht. Der Autor publizierte unter anderem zur Gründungsgeschichte der Bosch-Siemens Hausgeräte GmbH, über Innovationen in der Batterieentwicklung, sowie zu KI-getriebenen Veränderungen im Dienstleitungssektor.