Keine Angst vor der Aktie: Wege zu einer modernen Sparkultur
VHB expert Oscar Stolper zum zukunftsfähigen Vermögensaufbau aus Sicht der BWL
Ausgerechnet das Land der Sparweltmeister zählt beim Vermögensaufbau zu den Renditeschlusslichtern. Während in den USA beispielsweise rund drei Viertel des Vermögenswachstums auf einen Wertzuwachs des Bestands zurückgehen, wird Vermögen hierzulande mehrheitlich mit zurückgelegtem Arbeitseinkommen aufgebaut. So speiste sich der Kapitalzuwachs der Tagesgeld-, Festgeld- und Sparkonten der Deutschen in 2019 zu 98 % aus Sparanstrengungen, ergo: Konsumverzicht.
Sparen ist allerdings kein Selbstzweck und Finanzvermögen vermag mehr zu leisten, als nominal exakt um das Ersparte anzuwachsen. Das gilt insbesondere dann, wenn kein Weg daran vorbeiführt, „sein Geld für sich arbeiten zu lassen“, weil in der Zukunft eine hinreichende Höhe an finanziellen Mitteln erforderlich ist. Das ist beispielweise der Fall, wenn eine Versorgungslücke im Alter geschlossen werden soll.
Oscar Stolper, Professor für Behavioral Finance an der Philipps-Universität Marburg, stellt drei Thesen auf, wie der Übergang hin zu einer zeitgemäßen Sparkultur gelingen kann:
Abschied vom Trugbild der sicheren Geldanlage
Das Sparverhalten der Deutschen reflektiert ein im internationalen Vergleich sehr stark ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. Allerdings haben viele ein falsches Verständnis von Sicherheit und schaden ihren Sparbemühungen damit. Die Realrendite von Zinsprodukten liegt seit vielen Jahren im Negativbereich und das führt dazu, dass diejenigen, die ihr Vermögen nicht ins Spiel bringen, sicher verlieren. Und zwar Kaufkraft: Statistisch betrachtet verlor jeder Bundesbürger allein im Jahr 2019 etwa 380 Euro. Angesichts immer neuer Höchstmarken bei den Giroguthaben der Deutschen hat dieser Kaufkraftverlust in jüngster Vergangenheit sogar noch an Geschwindigkeit zugenommen.
Wir müssen uns deshalb neu justieren: Selbst der Vermögenserhalt ist nicht mehr sicher. 100 Euro bleiben nur 100 Euro, wenn wir die Inflation schlagen und der Realzinsfalle entkommen. Das gelingt mit unseren beliebten, vermeintlich sicheren Sparformen allerdings nicht mehr. Wenn Zinssparen unsere Sparanstrengungen im Gegenteil sogar konterkariert, müssen funktionierende Alternativen gefunden werden.
Entmystifizierung der Aktie
Um nachhaltig Vermögen aufzubauen, bedarf es einer Mindestrealrendite, die seit vielen Jahren nur noch mit einer Anlage in Aktien und Investmentfonds erzielt werden kann. Viele Deutsche glauben, dass ihr Finanzwissen für die Teilnahme am Aktienmarkt nicht ausreicht. Tatsächlich muss man aber überraschend wenig wissen, um langfristigen Vermögensaufbau mit Aktien zu betreiben.
Der Erfolg einer nachhaltigen Anlagestrategie bemisst sich maßgeblich danach, wie erfolgreich kostspielige Fehler vermieden werden, wie beispielsweise in fallenden Märkten Papierverluste zu echten Verlusten zu machen, auf den richtigen Ein- bzw. Ausstiegszeitpunkt zu spekulieren oder auf eine vermeintlich überlegene Aktienselektion zu vertrauen. Langfristiger Vermögensaufbau mit Aktien ist also in erster Linie simpel und unaufgeregt.
Bewusstes Gestalten des Vermögensaufbaus statt passiver Geldablage
Das Thema Vermögensaufbau in Angriff zu nehmen, lohnt sich auch jenseits von Renditeerwägungen: Menschen mit einer höheren Zufriedenheit mit ihrem aktuellen Sparverhalten haben auch eine höhere Lebenszufriedenheit und der Anteil zufriedener Investmentfondssparer war trotz der massiven Kursschwankungen in 2020 mit Abstand größer als derjenige aller anderen Sparertypen.
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Bildquelle: Nick Chong auf unsplash.com