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„9-Euro-Ticket“: Mehr Leistung im Öffentlichen Personenverkehr für weniger Geld?

VHB expert Jörn Schönberger erläutert die Hintergründe aus Sicht der BWL

Das im Frühjahr 2022 eingeführte „9-Euro-Ticket“ wird als Beschleuniger der sog. „Verkehrswende“ gehypt. Dies weckt in der Öffentlichkeit Hoffnungen auf eine kurz- bis mittelfristige Reduktion der Preise im öffentlichen Personenverkehr (ÖPV). Diese Hoffnung ist jedoch aus der Perspektive der Verkehrsbetriebslehre nicht gerechtfertigt, sagt Jörn Schönberger, Lehrstuhlinhaber der Professur für Verkehrsbetriebslehre und Logistik der Technischen Universität Dresden.

Der Öffentliche Personenverkehr betrifft uns alle

Die Fahrgastbeförderung im ÖPV verursacht schon jetzt ökonomische Defizite für die durchführenden Verkehrsunternehmen. Deren durchschnittlicher Kostendeckungsgrad liegt deutschlandweit bei ca. 78%. In Form von Verlustübernahmen durch die öffentliche Hand können diese heute ausgeglichen werden, da der ÖPV Teil der Daseinsvorsorge ist. Für die Ausweitung des ÖPV-Angebots und signifikant steigende Fahrgastzahlen müssten infrastrukturelle Engpässe beseitigt, das „Fahren auf Verschleiß“ durch aufwändige Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen vermieden werden. Die Finanzierung dieser Investitionen in die Infrastruktur ist ebenfalls Aufgabe der öffentlichen Hand, das heißt, der Allgemeinheit.

Mehr Leistung braucht mehr Ressourcen – auch im Öffentlichen Personenverkehr

Insbesondere für die Sicherstellung der Klimaverträglichkeit der steigenden ÖPV-Leistungen muss in die Erneuerung und Modernisierung bestehender Fuhrparks und Werkstatt-Infrastrukturen investiert werden. Laut einer Studie des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen wird hierfür je Einwohner mit einer Steigerung der Finanzierungslast von 120 EUR (2018) auf fast 300 EUR (2030) zu rechnen sein. Die Erwirtschaftung von Überschüssen, die zur Finanzierung von zusätzlichen Fahrzeugen, betrieblicher Infrastrukturen und Personalzuwachs verwendet werden könnten, nur durch eine Steigerung der Fahrgastzahlen ist jedoch nicht zu erwarten, da steigende Fahrgasteinnahmen zu einer Reduktion der Verlustausgleiche führen.

Ob die öffentliche Hand zukünftig in der Lage und auch gewillt sein wird, die zusätzlichen Kosten einer ÖPV-Angebotsausweitung auszugleichen, ist unklar. Angebote wie das 9-Euro-Ticket ändern nichts an der bestehenden strukturellen Unterfinanzierung des ÖPV in Deutschland. Sie führen aber zu steigenden Nutzerzahlen im ÖPV und legen damit die Grenzen des derzeit realisierbaren ÖPV-Angebots schonungslos offen.

Wo setzt die BWL an? - Zusätzliche Kosten durch zusätzliche Erlöse decken

Ein Ansatz ist die Übertragung von Konzepten aus dem Revenue Management für ÖPV-Angebote, die über die Grundversorgung hinausgehen, um zusätzliche Erlöse aus dem Ticketverkauf zu erzielen. Hierfür müssen aber die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert werden.

Auch eine dauerhafte Beteiligung jeglicher Unternehmen an den Kosten für die Versorgung ihrer Standorte mit hochwertigen ÖPV-Leistungen ist denkbar. Immerhin sind Berufspendler wesentliche Nutznießer des ÖPV.

Verursacher von Lastspitzen der ÖPV-Nachfrage könnten geglättet oder vermieden werden, indem Schicht- und Stundenpläne jeglicher Art systematisch hinterfragt, an die heutigen Erfordernisse und Möglichkeiten angepasst und mit Hilfe von Methoden des Operations Research mit den Anforderungen des ÖPV integriert werden.

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Foto: Dennis Siqueira auf Unsplash.com