Relational View

Warum relationale Renten so einfach und doch so schwer zu erzielen sind

Christiana Weber, Leibniz Universität Hannover

‚Gemeinsam sind wir stark‘, ‚1 plus 1 gleich 3‘ oder ‚win-win‘. Wir kennen diese Redewendungen, ja Volksweisheiten, aus dem persönlichen Umfeld und aus glänzenden Unternehmensbroschüren oder -leitbildern. Es scheint so einfach und einleuchtend, komplementäre Kräfte, Ressourcen und Fähigkeiten für die gemeinsame Sache zu bündeln. Warum aber scheitern so viele Organisationen an ihrem Unterfangen, erfolgreich zu kooperieren?

Die im April 2020 gefeierte Kooperation zwischen Biontech und Pfizer hat uns das Potential erfolgreicher Kooperationen vor Augen geführt. Das gleiche Beispiel liefert allerdings auch einmal mehr den Hauptgrund für das regelmäßig zu beobachtenden Scheitern von Strategischen Allianzen, Joint Ventures, Merger oder Akquisitionen, nämlich, dass Unternehmen in der Regel versuchen, ihren Eigennutz zu maximieren. Aus einer Kooperationsperspektive bedeutet dies, dass die Partner bemüht sind, möglichst viel zu nehmen und gleichzeitig möglichst wenig zu geben. So beendete Pfizer die vielversprechende Kooperation im März 2021 mit den Worten, man „brauche“ Biontech nicht mehr. Wenn alle Beteiligten eine solch kurzfristige Eigennutz-Strategie verfolgen, fällt der zunächst angestrebte gemeinsame Kuchen plötzlich überraschend klein aus. In der Folge zahlen sich die mit der Kooperation verbundenen Investitionen nicht aus, Erwartungen werden enttäuscht und wechselseitig Schuldzuweisungen ausgesprochen. Dann ist zumeist das Ende der Kooperation erreicht.

Genau an diesem Kooperations-Dilemma setzt der Relational View (RV) an. Dieser vielbeachtete Ansatz geht der praktischen Frage nach, unter welchen Bedingungen der erwartete Mehrwert einer Kooperation für die beteiligten Organisationen erreicht werden kann. Die vier für den Kooperationserfolg wichtigsten Determinanten sind: (i) komplementäre Ressourcen und Fähigkeiten als Ausgangspunkt jeder Partnerschaft, (ii) effektive Steuerungsmechanismen, insbesondere Vertrauen und Regeln der Zusammenarbeit, (iii) das Etablieren beziehungsspezifischer Routinen, um Wissen zu teilen sowie (iv) Investitionen in gemeinsame, beziehungsspezifische Werte wie Human-, aber auch physisches Kapital. Kürzlich veröffentlichte Weiterentwicklungen des RV verweisen zudem auf den Grad der Beziehungsintensität, der die Kooperation maßgeblich beeinflusst. Je vertrauensvoller z.B. die Beziehung und je besser die Partner in ihren Rollen und Aufgaben aufeinander eingespielt sind, desto effizienter und reibungsloser verläuft eine Kooperation. Gleichzeitig birgt diese vertrauensvolle „Eingespieltheit“ auch die Gefahr, neue Entwicklungen oder Wettbewerber nicht rechtzeitig zu erkennen, an Innovationskraft und Kreativität einzubüßen und an Effektivität zu verlieren.

Obgleich „Kind“ der 90er Jahre, eröffnet der RV im Zeitalter der Digitalisierung, offener Innovationsprozesse und neuer Organisationsformen wie „crowds“ und „communities“ zusätzliche spannende Anwendungsfelder für Unternehmen, die jenseits ihrer „klassischen“ Kooperationspartner ihr Partnerschaftsportfolio strategisch erweitern möchten. Zahlreiche Aspekte des RV lassen sich sinnvoll in das Digitalisierungszeitalter übertragen bzw. mit Blick auf neue Kooperationsformen gezielt nutzen und anpassen. So können die wertvollen Erkenntnisse dieser Forschung auch in Zukunft beitragen, das große Potenzial kooperativer Unternehmensführung auszuschöpfen und „win-win’s“ zu beflügeln.

Christina Weber, Leibniz Universität Hannover

Quellenangaben:
Dyer JH and Singh H (1998) The Relational View: Cooperative Strategy and Sources of Interorganizational Competitive Advantage. Academy of Management Review 23(4): 660–679.
Dyer JH, Singh H and Hesterly WS (2018) The relational view revisited: A dynamic perspective on value creation and value capture. Strategic Management Journal 39(12): 3140–3162.
Weber C, Bauke B and Raibulet V (2016) An Empirical Test of the Relational View in the Context of Corporate Venture Capital. Strategic Entrepreneurship Journal 10(3): 274–299.