Die Konsumentenverhaltensforschung in der BWL – gehasst, geliebt, etabliert?

Andrea Gröppel-Klein, Universität des Saarlandes

Die Konsumentenverhaltensforschung ist heute ein etabliertes Fach an Business Schools. Der Weg war durchaus steinig. Im digitalen Zeitalter muss sie sich neuen Herausforderungen stellen.

Vor ca. 50 Jahren gründete sich das Fach Marketing und damit einhergehend die Konsumentenverhaltensforschung (KV). Manchem traditionellen Betriebswirt war dies ein Dorn im Auge; insbesondere der sozialwissenschaftliche Zugang und die Integration der Psychologie empfanden einige als Tragödie. Doch hatte nicht bereits der Vater des deutschen Wirtschaftswunders Ludwig Erhard gesagt „Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie“? Woher kam dann diese Ablehnung? Befürchtete man damals eine Dominanz des Marketings, da vielleicht auch die Traditionalisten intuitiv erkannten, dass eine reine, oft mathematisch berechnete und preispolitisch dominierte Absatzorientierung langfristig zu kurz greift und man sich in gesättigten Märkten mit teils extremen Verdrängungswettbewerben eben doch sehr viel stärker auf die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden fokussieren muss, damit die Waren genügend abgesetzt werden und letztlich das Unternehmen bestehen bleibt?

Die Phrase „Kühlschränke an Eskimos verkaufen“ wird vielfach als geflügeltes Wort für die Fähigkeit einer Person verwendet, anderen Leuten Dinge „aufzuschwatzen“, die sie eigentlich gar nicht brauchen, und auch um das Marketing zu verschmähen. Doch die Einsicht, dass ein Kühlschrank das Einfrieren von Lebensmitteln verhindern kann und damit ein Kundenbedürfnis anspricht, ist nach Peter Drucker (1973) genauso innovativ wie brandneue Produkte zu entwickeln. Das Erkennen solcher Bedürfnisse bedingt allerdings Empathie für die Kundin oder den Kunden sowie fundiertes Wissen über die inneren psychischen Prozesse und das Verhalten.

Damit beschäftigt sich die KV, in Deutschland vor 50 Jahren vor allem angetrieben durch Werner Kroeber-Riel (1975). Die Analyse des „Wer kauft was, wann, wie und warum?“ stand zunächst im Vordergrund. Doch frühzeitig wurde debattiert, ob die KV eine Teildisziplin des Marketings ist oder eine eigenständige Forschungsrichtung, die eben nicht nur „Dienstleister“ der Industrie ist, sondern sich vor allem dem Wohlergehen der Konsumentinnen und Konsumenten widmen sollte. Unabhängig davon waren von Anfang an interdisziplinäres Wissen und Methodik unabdingbar, vielleicht auch da man ambitioniert war, die „Wissenschaftlichkeit“ des Faches unter Beweis zu stellen, und hier von anderen Disziplinen lernen wollte, die mit ihren methodischen und wissenschaftstheoretischen Kenntnissen oftmals weiter waren als die damals meist nur deskriptive BWL (Jacoby 1976).

Der KV wird seit jeher vorgeworfen, keine geschlossene Theorie anzubieten, sondern eklektisch zu sein, mit einer manchmal unüberschaubaren Menge an Theorien, Konstrukten, Methoden. Hier ist zu erwidern, dass komplexere Umwelten differenzierte Erklärungen benötigen, wenngleich es sich sicherlich lohnen würde, die Vielzahl der Begriffe auf Redundanz zu untersuchen.

Die KV ist etabliert und wird weltweit an Business Schools gelehrt. Doch sie muss sich neuen Herausforderungen stellen. Wird man sich zukünftig noch für komplexe Ursache-Wirkungsanalysen auf Basis psychologischer Theorien interessieren, wenn man doch mittels digitaler Customer Journeys das eigentliche Verhalten so viel schneller abbilden kann? Anders gefragt: Wenn sich das Kaufverhalten aus dem „gelebten Verhalten“ im Internet ableitet, interessiert dann überhaupt noch das Warum? Zu entgegnen ist, dass mit der zunehmenden Datenmenge von Big Data die Relevanz guter Theorien steigt, um Korrelationen von Kausalitäten zu differenzieren. Die KV sollte allerdings nicht bei der Betrachtung von Konstrukten wie Einstellungen stehen bleiben, sondern sich auf die Erklärung des tatsächlichen Verhaltens fokussieren. Der Attitude-Behavior-Gap ist nach wie vor eine Herausforderung, vom umweltbewussten Verhalten bis zur Corona-Impfung.

 

Andrea Gröppel-Klein, Universität des Saarlandes

 

Quellenangaben:

Drucker, P. F. (1973). Management: Tasks, responsibilities, practices. New York: Harper & Row.

Jacoby, J. (1976). ACR Presidential Address Consumer Research: Telling It Like It Is. In B. B. Anderson (ed.), NA - Advances in Consumer Research, Vol. 3, Cincinnati, OH, Association for Consumer Research, 1-11.

Kroeber-Riel, W. (1975). Konsumentenverhalten. 1. Aufl., München: Vahlen.

Ausführlich:

Gröppel-Klein, A. (2021). Geschichte der BWL - Die Konsumentenverhaltensforschung in Marketing und Betriebswirtschaftslehre. In W. Matiaske & D. Sadowski (Hrsg.), Ideengeschichte der BWL (im Druck).