​​​​​​​Controlling – Praxis treibt Academia

Jürgen Weber, WHU – Otto Beisheim School of Management

Controlling als akademische Disziplin ist die Antwort auf eine grundlegende Veränderung der finanziellen Steuerung in der Unternehmenspraxis. Die Komplexität dieser Steuerungsaufgabe begründet die Vielfältigkeit der von ihr behandelten Problemstellungen und der zu ihrer Lösung eingenommenen theoretischen Perspektiven. Letztlich liegt darin auch eine wesentliche Quelle ihres Erfolgs.

Controlling ist als eigenständige Disziplin zwar noch keine 100 Jahre alt, aber mit einem halben Jahrhundert alt genug, um keine Alltagsfliege zu sein. Die Zahl von knapp 90 Lehrstühlen im deutschsprachigen Raum spricht eine deutliche Sprache. Ihr Aufstieg ist sehr geeignet dafür, Licht auf das Zusammenspiel zwischen praktischen Problemen und ihrer theoretischen Durchdringung in der Betriebswirtschaftslehre zu werfen.

Controlling lässt sich einem der Kernbereiche der BWL, der finanziellen Führung, zuordnen und hatte im internen Rechnungswesen seine Ausgangsbasis. Anders als dieses ist das Controlling allerdings nicht auf die Bereitstellung der Erfolgsgrößen fokussiert, sondern darauf, wie mit diesen gesteuert werden kann. Treiber der Entwicklung waren Probleme der Praxis. Zunehmende Marktdynamik ließ die Komplexität des Führungsprozesses deutlich ansteigen, inhaltlich wie organisatorisch. In der Vielfalt neuer Themen war die Kostenrechnung nur noch ein – wenn auch wichtiges – Instrument von vielen. Die besondere Herausforderung bestand darin, sehr unterschiedliche Aspekte finanzieller Führung miteinander zu verbinden, neben der strukturgebenden Planung auch die Organisation als Steuerungskontext und die Personalführung als Anreizgestaltung. Hieraus resultierte ein sehr breites Aufgabenspektrum, für das sich in den Unternehmen ein zunehmend ausdifferenzierter Bereich bildete, in dem Controller arbeiteten und ihm zum Namen Controlling verhalfen.

Dieses Praxisphänomen blieb in der Academia nicht ohne Reaktion. Auf der einen Seite änderte sich das Curriculum entsprechend, um dem Bedarf der Unternehmen gerecht zu werden. Auf der anderen Seite fanden diverse Versuche statt, Controlling schlüssig in das Gebäude der Betriebswirtschaftslehre einzuordnen. Das Neue des Controllings lag in der Praxis in der kohärenten Zusammenfassung sehr unterschiedlicher Facetten einer ergebnisorientierten Führung. Dies auch in der Theorie als Wesenskern zu betrachten („Koordinationsfunktion“), stieß aber auf zum Teil sehr pointierten Widerstand. Ähnliches galt auch für der Versuch, den Kern in einer speziellen Zielsetzung („Rationalitätssicherung“) zu sehen. Insofern verwundert es auch nicht, dass der Versuch scheiterte, eine eigene Kommission im Verband einzurichten. Am fortbestehenden Erfolg der Disziplin im Kanon der betriebswirtschaftlichen Spezialisierungen änderte das aber nichts.

In der Gesamtschau betrachtet hat die Betriebswirtschaftslehre somit auf eine Entwicklung der Praxis schnell und konsequent geantwortet. Das interne Rechnungswesen war dabei (nur) ein hilfreicher Steigbügelhalter; es behinderte die fachliche Neuausrichtung nicht. Heute spielt die Kostenrechnung im Curriculum, dessen inhaltliche Breite vielleicht am anschaulichsten mit den Begriffen Unternehmenssteuerung oder „strategy execution“ beschrieben werden kann, nur noch eine geringe Rolle. Den fehlenden Konsens bezüglich des originären theoretischen Kerns des Controllings mögen manche Kolleginnen und Kollegen als Mangel betrachten. Auf eine allseits akzeptierte theoretische Positionierung zu warten, ließe aber die Praxis mit ihren Problemen allein und bremste den Fortschritt. Und vielleicht stellt man mit einem originären theoretischen Kern auch eine viel zu restriktive Forderung: Welche andere betriebswirtschaftliche Disziplin kann eine solche wirklich erfüllen? Solange das Controlling also Forscherinnen und Forscher sowie Studierende anzieht und der Praxis hilft, Probleme zu lösen, muss man sich über seinen weiteren Erfolg keine Sorgen machen!