Modernes Produktionsmanagement

Von zyklenfreien Prozessen zur Kreislaufwirtschaft

Karl Inderfurth, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

In der traditionellen BWL befasste sich die Produktionswirtschaftslehre nur mit unidirektionalen Herstellungsprozessen. Ökonomische Anreize und staatliche Reglementierung haben jedoch in den letzten Jahrzehnten zu einer zunehmenden Bedeutung von Recyclingaktivitäten geführt. Die damit verbundenen kreislaufwirtschaftlichen Prozesse und deren produktionswirtschaftliche Herausforderungen lassen sich durch moderne betriebswirtschaftliche Ansätze wirkungsvoll managen.   

Genau in der Mitte der 100-jährigen Geschichte des VHB liegt die Zeit meines eigenen Studiums an der Universität Bonn, wo damals Erich Gutenberg als Papst der deutschen BWL galt. Sein Grundlagenbuch über ‚Die Produktion‘1 bildete zu dieser Zeit die Basis betriebswirtschaftlichen Wissens zur Produktionswirtschaft. Darin stellte sich die Produktion als eine unidirektionale Folge von Fertigungsschritten unter Einsatz der relevanten Produktionsfaktoren dar. Neben den Hauptprodukten wurden Kuppelprodukte, Materialabfälle und Ausschuss nur am Rande erwähnt, deren betriebsinterne Verwertung oder Entsorgung wurden weder unter produktionstheoretischen Gesichtspunkten noch unter Managementaspekten thematisiert.  Fragen der Schonung natürlicher Ressourcen und des Schutzes der Umwelt spielten zu dieser Zeit kaum eine Rolle. An ein Kreislaufwirtschaftsgesetz in heutiger Form mit einem Konzept erweiterter Produktverantwortung und Vorgaben zur Vermeidung und zum Recycling von Abfällen war noch nicht zu denken. In dieser Beziehung hat sich in den letzten 20-30 Jahren Umwälzendes getan mit besonderen Herausforderungen für die Produktionswirtschaft.

Kreislaufwirtschaft beinhaltet aus Sicht eines Unternehmens die Rückführung von internen und externen Recyclingprodukten in den regulären Produktionsfluss.  Intern anfallende Recyclingobjekte in Form von Ausschuss oder Rückständen bei Kuppelproduktion treten insbesondere in der Prozessindustrie (Mineralölverarbeitung, Chemieindustrie u.ä.) auf. Neben ökonomischen Motiven sind es umweltorientierte staatliche Regulierungen, die zu einem Bedeutungszuwachs von Produktrecycling internen Typs geführt haben. In noch stärkerem Maß gilt dies für das Recycling extern anfallender Objekte, wenn Altprodukte nach der Nutzungsphase wieder zurückgeführt werden, um sie oder ihre Bestandteile im Rahmen einer Aufarbeitung in gebrauchsfähige Enderzeugnisse oder Komponenten umzuwandeln. Diese Form des Produkt- oder Teilerecyclings findet heute in vielen Bereichen der Fertigungsindustrie (Automobilherstellung, Bürotechnikproduktion u.ä.) statt.

Im Hinblick auf die betrieblichen Prozessabläufe kommen im Rahmen von Recycling zusätzliche Aktivitäten wie die Produktrückführung, die Demontage, Aufarbeitung und Neumontage sowie die geordnete Beseitigung von Reststoffen hinzu. Durch eine ausgeprägte Unsicherheit in Bezug auf Zeitpunkt, Menge und Qualität des Anfalls von Recyclingprodukten ist die produktionswirtschaftliche Planung mit besonderen Anforderungen konfrontiert. Damit steht man bei Einbeziehung von Recycling vor den Herausforderungen einer Abstimmung von Produktions- und Recyclingplanung unter den erschwerten Bedingungen alternativer Recyclingoptionen und zusätzlicher Unsicherheiten. Bei externem Recycling kann sich das produktionswirtschaftliche Entscheidungsfeld hin zu einem sog. Closed-Loop Supply Chain Management erweitern, soweit unternehmensübergreifende Kreislaufprozesse gemanagt werden müssen.

Der betriebswirtschaftlichen Forschung ist es in hohem Maße gelungen, den skizzierten produktionswirtschaftlichen Herausforderungen einer Kreislaufwirtschaft Rechnung zu tragen. Das gilt zum einen für die entsprechende Erweiterung der Produktionstheorie, die wesentlich von Harald Dyckhoff2 vorangetrieben wurde. Zum anderen sind in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten wirkungsvolle Instrumente und Entscheidungsmodelle zu einem Produktionsmanagement unter Kreislaufgesichtspunkten sowohl für den strategisch-taktischen als auch für den operativen Bereich entwickelt worden. Hierzu haben vor allem quantitative Verfahren auf Basis des Operations Research einen großen Beitrag geleistet, wie sie z.B. in einer Publikation eines EU-Projekts zu ‚Reverse Logistics‘ zu finden sind3. Die damit befasste europäische Forschergruppe hat unter deutscher Beteiligung weltweit die ersten Impulse für eine breite betriebswirtschaftliche Forschung auf diesem Gebiet gegeben.

     

    Karl Inderfurth, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

    Quellenangaben:

    Gutenberg, E. (1967). Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Bd. 1: Die Produktion, 10. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York
    Dyckhoff, H. (1992). Betriebliche Produktion – Theoretische Grundlagen einer umweltorientierten Produktionswirtschaft, Berlin/Heidelberg
    Dekker, R., Fleischmann, M., Inderfurth, K., Van Wassenhove, L.N. (2004). Reverse Logistics: Quantitative Models for Closed-Loop Supply Chains, Berlin/Heidelberg/New York